Wie die Empörung älterer User:innen Levi Penells Pointe unfreiwillig bestätigt.
Für die Zukunft unserer gesellschaftlichen Debattenqualität sehe ich schwarz …
Es gibt Momente, in denen die Realität nicht mehr nur Satire füttert, sondern gleich selbst Satire spielt. Der Vorschlag des Podcasters Levi Penell, ein Social-Media-Verbot ab 60 einzuführen, war genau so ein Moment.
In der Talk-Sendung „Hart aber fair“ (Leg doch mal das Handy weg! Sind wir machtlos gegen Social Media? vom 29.9.2025) war für alle, die Augen und Ohren offen hatten, offensichtlich: Das war eine Übertreibung, ein rhetorischer Knallkörper. Penell meinte das nicht als ernsthaften Gesetzesentwurf, sondern als ironische Retourkutsche auf die ewigen Forderungen vieler Erwachsener, Kindern und Jugendlichen den Zugang zu sozialen Netzwerken rigoros zu verbieten.
Es war die klassische Übertreibung als Spiegel: Ihr wollt Jugendlichen Rechte wegnehmen? Dann drehen wir es mal um und nehmen sie den Älteren weg.
Fühlt sich absurd an, oder?
Und dann passierte das Internet
Reflexe³.
Das, was jede gesellschaftliche Debatte sofort unmöglich macht – und zwar nicht, weil das Netz per se böse wäre, sondern weil es der Logik der Aufmerksamkeitsmaximierung folgt. Für die Generation 60+ ist das doppelt fatal. Sie sind sozialisiert mit Kommunikation, in der Ironie oder Übertreibung durch den Kontext geschützt war: am Stammtisch, im Wirtshaus, beim Familienfest. Da half Mimik, Tonfall, der halbe Satz danach. Online fällt all das naturgemäß weg.
Der Swipeismus wird hervorragend bedient, wenn man nur vorgekaute Überschriften liest und dann als Taktlosaurus sofort seinen übersäuerten Magensaft in die Kommentarspalte rülpst.
Übrig bleibt die nackte Behauptung und der Algorithmus, der die größte Aufregung nach oben spült. Für viele Ältere, die sich selbst als vernünftig und lebenserfahren sehen, wird das zur Falle: Sie stolpern über Ironie, nehmen alles wörtlich, reagieren reflexhaft empört – und wirken damit wie der perfekte Rohstoff für Blödmaschinen.
Die Empörungsindustrie in Aktion
Wie zuverlässig dieser Mechanismus läuft, zeigen die Reaktionen der Online-Medien.
Bild.de titelte reißerisch: „Podcaster fordert TikTok-Verbot für über 60-Jährige“ – und verpackte die Provokation gleich als Skandalschlagzeile.
Focus Online schob die Story in die Kultur-Rubrik: „Influencer (25) fordert ‚Social-Media-Verbot ab 60‘ bei ‘Hart aber fair’“.
Welt.de machte daraus einen ganzen Diskursaufschlag: „‘Hart aber fair’: Wenn der ARD-Podcaster über ein Social-Media-Verbot für Über-60-Jährige diskutieren will“.
Die Berliner Morgenpost griff Penells Zusatzargument auf, dass Jugendliche oft besser in der Lage seien, KI-generierte Inhalte zu erkennen als Ältere.
Der Kölner Stadt-Anzeiger fasste es in der Überschrift gleich als Eklat: „Hitzige Debatte bei ‘Hart aber fair’ – Influencer fordert ‘Social-Media-Verbot ab 60’“.
Das Muster ist identisch: Ironie raus, Empörung rein. Die Medien kassierten Reichweite, die 60+ User:innen fühlten sich beleidigt, die Talkshow bekam ihre Verlängerung in den Kommentarspalten – und Penell hatte ungewollt den lebenden Beweis für seine These.
Die Tragik der Ironieresistenz
Dass viele über 60-Jährige nicht in der Lage waren, den Kontext in zwei Klicks zu ergoogeln, ist kein persönliches Versagen, sondern strukturell. Aber es ist eben auch das Paradebeispiel für das, was Penell meinte: Eine wachsende digitale Kluft zwischen denen, die mit Algorithmen, Deepfakes und Plattformlogiken aufgewachsen sind, und denen, die Social Media eher wie die Tagesschau konsumieren – bloß ohne die Redaktion dazwischen.
Das Problem: Ironie funktioniert nicht mehr zuverlässig online. Sharepics sind billig hergestellte psychologische Kampfstoffe – sie zünden sofort und ohne Gegenmittel. Und Ironieresistenz ist ein gesellschaftliches Risiko, weil sie aus einem Witz eine vermeintliche Wahrheit macht.
Der blinde Fleck: Wenn Hetze plötzlich harmlos klingt
Bemerkenswert war in der Sendung auch Kristina Schröder. Sie sagte: „Ich werde unruhig, wenn jemand sagt, wir müssen Hass und Hetze im Netz bekämpfen.“ Klingt nach kritischer Differenzierung, lief und läuft aber auf etwas anderes hinaus: eine Relativierung.
Natürlich darf man fragen, wie man Hetze definiert und welche Grenzen zwischen strafbar und bloß provokant gezogen werden. Aber Schröder ging es nicht um Schärfung, sondern um Abschwächung. Indem sie den Begriff zum bloßen Kampfbegriff erklärte, verschwanden die realen Abgründe von Hass, Bedrohung und systematischer Hetze in Kommentarspalten und Netzwerken plötzlich hinter semantischen Spitzfindigkeiten.
Das Ergebnis: Während Ältere sich lautstark über ein ironisches Gedankenexperiment empören, bleibt die echte Debatte – wie gefährlich organisierte Hetze unsere Gesellschaft zerfrisst – unterbelichtet. Schröder hat sie nicht geöffnet, sondern verharmlost und zugeschüttet. Und das als ehemalige Familienministerin.
Das Paradoxe: Die 60+ fordern sonst selbst Verbote
Ausgerechnet viele Ältere, die sich nun diskriminiert fühlen, sind seit Jahren die lautesten Stimmen, wenn es um Verbote für Kinder geht. „Instagram erst ab 16!“, „Handys aus den Schulen!“, „TikTok sperren!“ – längst Standard in Talkshows, Kommentarspalten und Stammtischrunden. Natürlich auch mit dem Argument, dass man ja vor Hass und Hetze schützen müsse …
Penell hat diese Logik einfach umgedreht. Er hat den paternalistischen Impuls, der Jugendlichen Autonomie abspricht, auf die Älteren angewandt – und so die Absurdität freigelegt. Dass so viele darauf anspringen, zeigt: Die Verbotsmentalität ist so tief verankert, dass sie erst sichtbar wird, wenn man sie spiegelt.
Was bleibt?
Die Debatte um Penells Spruch ist keine Debatte über Altersgrenzen, sondern über Medienkompetenz als Bürgerpflicht. Sie ist kein Argument für ein Verbot, sondern gegen die reflexhafte Forderung nach Verboten. Sie ist ein Spiegelbild unserer digitalen Gesellschaft, in der Ironie zur Waffe und Empörung zur Währung geworden ist.
Und sie zeigt, dass die vielleicht gefährlichste Altersgrenze nicht bei 60 liegt, sondern dort, wo man aufhört, nachzudenken, bevor man teilt.
Bevor nun ein Schubladenschwätzer kommt mit „Jungchen, werde erstmal so alt, dann reden wir nochmal“ – ich bin 1964 geboren. Wenn du diesen Gedankenreflex hattest, lies meinen Artikel einfach nochmal – oder denke generell über deinen Mageninhalt nach.
(Die unterstrichenen Wörter sind sogenannte Links. Früher nannte man diese Funktion „Hover“, heute nennt man das: „warum klickst du nicht für mehr Informationen?“ – und das gibt es schon seit den 90zigern. Da warst du keine 30 …)
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Nachtrag: Dieser Beitrag ist auch auf Facebook verlinkt. Ein Blick in die Kommentarspalte zeigt dramatisch auf, woran es bei einigen Leuten im Oberstübchen fehlt. Manchmal denke ich, die Kommentarspalten sind das wahre Kunstwerk – der Text drumherum ist nur Rahmen.
Es lohnt auch ein Blick auf die Accounts, die zwanghaft ihren Schleim abhusten müssen. Sie und deren Timelines, verkörpern genau die Klientel, die ich hier beschrieben habe.

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