Habecks Aufgabe – Der stille Bankrott

Was man zwischen den Zeilen rauslesen könnte

Robert Habeck zieht sich aus dem Bundestag zurück. Er hätte als Abgeordneter weitermachen können – leiser, im Hintergrund, mit überschaubarer Last. Allerdings geht er ins Ausland. Wahrscheinlich dorthin, wo seine Expertisen gewünscht sind. Das ist mehr als eine Pause, es ist ein Bruch.

Offiziell spricht er von Distanz, von Forschung und Lehre. Den Blick erweitern. Dass er nicht als kommentierendes Gespenst im Bundestags rumlaufen möchte. Alles nachvollziehbar, alles ehrenwert.

Ich glaube auch, dass man sich vor Erschöpfung schützen sollte und das dies ein Mitgrund ist, aber ich glaube, dass diese – bei ihm – eigentlich sichtbare „totale politische Erschöpfung“ das sichtbare Symptom eines kranken und scheinheiligen Systems ist.

Und das finde ich als Bürger interessanter …

Habecks Rückzug ist meiner Meinung nach mehr als persönliche Müdigkeit oder das Resultat einer eventuell vorhandenen Gekränktheit. Er ist Ausdruck einer ratlosen Frustration, die tiefer reicht: dem Gefühl, dass Deutschland nicht regierbar ist, wenn es um echte Zukunftsfragen geht. Dass dieses Land in Empörung, Besitzstandswahrung und (fleischfressender…) Parteitaktik gefangen bleibt.

Habeck hat jahrelang versucht, dieses Land zu modernisieren. Er hat gestritten, erklärt, vermittelt und ist dabei nicht nur an politischen Gegnern, sondern auch an der politischen und medialen Kultur selbst gescheitert. Deutschland blockiert sich, sobald es um große Veränderungen geht.

Man kann natürlich über Strategien der  Veränderungen streiten, aber nicht darüber, ob sie stattfinden müssen. Und natürlich hat Habeck Fehler gemacht. Kommunikation, Tempo, auch Überschätzung der eigenen Möglichkeiten – das gehört dazu. Aber die Art, wie Reformen wie das Heizungsgesetz zerredet und skandalisiert wurden, war entlarvend. Aus einer schwierigen, aber notwendigen Modernisierung wurde eine nationale Empörungswelle, befeuert von Medien, die lieber Schlagzeilen produzierten als Aufklärung und von Politiker:innen aus der Mitte, die absichtlich mit Unwahrheiten hantierten. Habeck selbst wurde zur Projektionsfläche, vom Erklärer zum Feindbild.

Es sind nicht nur die, für jeden suchtbaren  massiven Kampagnen die gegen „die Grünen“ gefahren werden, hinzu kommt das parteipolitische Kalkül.

CDU und CSU betreiben Rückspiegelpolitik: blockieren, verzögern, kleinreden. Nicht weil sie bessere Ideen hätten, sondern weil sie jede Niederlage der Grünen als eigenen Sieg verbuchen. Die SPD wirkt wie eine erschöpfte Partei, mehr mit sich selbst beschäftigt als mit dem Land. Politik dient nicht der Gestaltung, sondern dem kurzfristigen Vorteil.

Besonders bitter wurde es bei der Schuldenbremse. Habeck hatte monatelang für ihre Überarbeitung geworben – um Investitionen in Wirtschaft und Infrastruktur überhaupt möglich zu machen. Das war nicht Luxus, sondern dringend nötig, um die Wirtschaftslage zu stabilisieren, und es fiel direkt in sein Ressort. Dafür wurde er von der Opposition, vom Koalitionspartner FDP und von großen Teilen der Medien verrissen.

Nach dem Regierungswechsel, war plötzlich genau das möglich. Friedrich Merz forderte in einer Regierungserklärung die Lockerung der Schuldenbremse, um Verteidigung und Infrastruktur zu finanzieren.

Exakt das, wofür Habeck zuvor zerrieben wurde. Er saß im Plenum, klatschte und lachte – nicht höhnisch, sondern bitter. Denn die Grünen mussten nun aus Vernunft zustimmen, was ihnen zuvor als „grüne Fantasie“ um die Ohren geschlagen worden war. Das ist keine normale politische Niederlage.

Das ist zynische Realsatire, wie sie nur der politische Betrieb in Berlin schaffen kann – und für Habeck wohl der entscheidende Knackpunkt, an dem er innerlich die Konsequenz zog.

Noch deutlicher wird die Schieflage in der Energiepolitik. Man braucht gar nicht ins Detail zu gehen, um zu erkennen, wie lobbygesteuert die Renaissance fossiler Energien sein wird.

Bürgerpolitik findet nur noch in dem Gerede von „mehr leisten, weniger fordern“ statt. Doch dahinter steht eine tiefere Unwilligkeit, ehrlich über notwendige Veränderungen zu sprechen.

Renten? Die seit nunmehr 50 Jahren verschlafene Reform wird durch ein schlichtes „länger arbeiten“ weggedrückt. Die Gesellschaft will den Status quo bewahren, wählt Parteien, die Rückwärtsgang fahren, und beschwert sich dann, dass nichts vorangeht. Es ist ein systembedingtes Problem: Ein Kreislauf, in dem Bürger:innen und Politik sich gegenseitig in der Stagnation halten.

Hinzu kommen sichtbare Schieflagen wie etwa eine ungeeignete Bundestagspräsidentin und die demokratiezerstörende Debatte um Frauke Brosius-Gersdorf. Ein Kulturminister, der sich lieber zum Gendern äußert, als die Schieflagen im Bildungssystem zu benennen.

Man könnte an dieser Stelle noch mehr (Bürgergeld, Migration usw) aufzählen, tiefer gehen, aber all das zeigt, wie Deutschland nicht nur in einen Kulturkampf regiert wird, sondern in vielen Details wie in einer neuen Merkel-Ära wieder gefangen scheint.

Und diese Gefangenschaft wird nochmal bitter, wenn man sich vor Augen führt, wie oft Habeck in der damaligen Zeit (vor Corona) vor genau dem gewarnt hat, was wir heute als Missstände erleben.

Und die anderen?

Die SPD wirkt wie eine Partei auf der Suche nach sich selbst. Und was ist mit der Opposition? Die Grünen sortieren sich selbst und sind dabei nicht unbedingt auf Habecks realpolitischer Linie. Die Linke ist zwar zurzeit stark, aber dann doch eher populistisch-unkonkret unterwegs. Die AfD kann man im Prinzip gänzlich vergessen – für Bürgerpolitik ist sie ein reiner Totalausfall. Bei Umwelt- und Wirtschaftspolitik durch ihre Wissenschaftsleugnung ein reiner totaler Totalausfall. Damit bleibt von einer echten konstruktiven Opposition wenig übrig.

Und die Bürger:innen?

Natürlich liegt die Verantwortung nicht nur bei Politik und Medien. Sie liegt auch bei den Bürger:innen selbst. In ihrer Bräsigkeit, ihrer Abwehr von Veränderung, ihrem Reflex, den eigenen Besitzstand zu sichern. Am Ende sind sie es, die wählen – und ihre Wahl ist oft nichts anderes als eine Kapitulation vor der Zukunft.

Die nichtgesehene Botschaft

Vielleicht ist genau das die radikalste Botschaft seines Rückzugs. Bei Markus Lanz malte Habeck das Bild einer Politik, in der Minister nicht mehr Parteisoldaten sind, sondern Gestalter. Nicht abhängig vom Wohlwollen der eigenen Fraktion, nicht getrieben von Koalitionsarithmetik, sondern allein verpflichtet dem, was für das Land notwendig ist. Und er setzte noch eins drauf: Minister sollten ihr Amt nur einmal für vier Jahre ausüben dürfen – danach ist Schluss, keine Wiederwahl, keine Karriereplanung. Ein Amt auf Zeit, das Gestaltung erzwingt, statt Taktik zu belohnen.

Es klingt utopisch, fast naiv. Aber in dieser Skizze steckt ein ernsthafter Kern: Solange Ressorts als Beute der Parteien betrachtet werden, bleiben sie Geisel parteitaktischer Kämpfe. Entscheidungen folgen nicht der Frage „Was braucht Deutschland?“, sondern „Was nützt meiner Partei?“. Habecks Fantasie ist weniger ein verfassungspolitischer Vorschlag als ein Hilferuf: Das System, so wie es gebaut ist, blockiert sich selbst.

Die Lehre der Leere

Es ist typisch für dieses Land, dass gerade dieser Gedanke kaum ernsthaft diskutiert wird. Ein Minister stellt das Herz des Parteienstaates in Frage, und es bleibt letztlich eine Randnotiz im politischen Geschehen, die kaum für Aufsehen sorgt. Lieber konzentriert man sich auf Oberflächlichkeiten oder persönliche Motive. Doch genau darin liegt vielleicht der wichtigste Impuls seines Rückzugs: die Ahnung, dass nicht nur einzelne Figuren scheitern, sondern das System selbst an seinen eigenen Fesseln.

Am Ende ist es vielleicht genau dieser Punkt, der bleibt: Es geht nicht nur um Habeck als Person oder um einzelne Reformversuche, sondern um ein System, das grundlegende Veränderungen schlicht nicht zulässt. Diese Erkenntnis ist ernüchternd: Selbst wenn Reformparteien an die Macht kommen, prallen sie an einem von Lobbyismus und politischen und medialen Strukturen geprägten Rahmen ab, der echte Reformen blockiert.

Habecks Rückzug zeigt damit letztlich, dass nicht der Einzelne scheitert, sondern das System selbst in seiner Starrheit frustriert.

Und diese Frustration lässt sich durch Wahlen nicht beseitigen – sie verstärkt sie nur. Denn der Kreislauf bleibt derselbe: Parteien wechseln, Gesichter wechseln, Versprechen wechseln. Was bleibt, ist Stillstand.

Es gibt keinen Trost. Nur die Diagnose eines stillen Bankrotts.

5 Antworten zu „Habecks Aufgabe – Der stille Bankrott”.

      1. Für diesen Artikel. Für das Aufgreifen des Themas. Für die saubere, ruhige und strukturierte Form. Für das Ermöglichen, zu ergründen, zu erkennen und vielleicht sogar eine Art Trost im eigenen „Versagen“ zu finden.

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      2. Oh… Jetzt möchte ich gerne Danke sagen: Danke! 🙏

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      3. Nichts zu danken 🤣 nur dankbar für kluge Artikulation. Klug im Sinne von kritisch-gelassenem Statement mit deutlich eigener „Handschrift“ und vermutlich Offenheit für faire Diskussionen und konstruktive Streits…

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