Forsa, August 2025:
„Wem trauen Sie zu, mit den Problemen in Deutschland fertigzuwerden?“
Die mit Abstand häufigste Antwort:
Niemandem.
Über 50% trauen keiner Partei zu, Probleme zu lösen.
Schachmatt mit klassischem Bürgerdisconnect
Warum Politiker, Journalisten und Buchautoren versagen, wenn es um Bürger geht
Es gibt einen Menschentyp, der alles besser weiß, aber nichts wirklich versteht. Der sich auf Podien befragt, in Büchern bestätigt und in Talkshows gegenseitig bejault. Der Bürgernähe predigt, aber Migranten nur aus Statistiken kennt und den Spritpreis für einen Mythos hält.
Dieser Menschentyp nennt sich: Elite.
Politiker:innen, die mit Worthülsen klimaneutrale Parallelwelten errichten, während Busse auf dem Land nur sonntags für Beerdigungen fahren.
Journalist:innen, die die Gesellschaft erklären wie ein exotisches Studienobjekt.
Buchautor:innen, die sich fragen, warum niemand mehr liest und trotzdem 400 Seiten über sich selbst schreiben.
Zur Einordnung:
Wenn ich hier von Eliten spreche, dann meine ich nicht nur die da oben mit Krawatte und Kaffeetasse, sondern auch die, die sich als Anti-Eliten inszenieren und doch genauso abgehoben agieren.
Die 11 Prozent „Kompetenzzuschreibung“ für die AfD wirken fast putzig, wenn man sich den Lärm auf Social Media anschaut. Ihre Lautstärke steht in keinem Verhältnis zu ihrem Anteil, aber sehr wohl zu ihrem Einfluss. Denn auch diese „Anti-Eliten“ haben längst ihre eigenen Machtzirkel, eigene Phrasen, eigene Denkblasen.
Die AfD und nach rechtsaußen verirrten Akteure aller genannten Subtypen haben ihre Köpfe längst in einem geschlossenen System versenkt, betrachten ihren Nabel von innen und halten ihn für das Zentrum der Welt.
Bürger:innen sind für sie keine Menschen mit Würde und Rechten, sondern Erfüllungsgehilfen: Wahlvolk, Schreihilfen, Zahlmeister. Wer mitbrüllt, gehört dazu. Wer widerspricht, wird diffamiert, verspottet oder gleich zum Volksverräter erklärt.
Kurz gesagt:
Der AfD sind Bürger:innen scheißegal.
Das wissen auch viele ihrer Wähler:innen und wählen, beliken und umjubeln den menschenverachtenden Kram trotzdem.
Es tut mir leid, aber wer das AfD-Gedöns immer noch für Protest hält, hat sich längst freiwillig zum Werkzeug gemacht.
Im gleichen Atemzug regen sie sich diese Menschen mächtig über „die da oben“ und deren „Systemlinge“ auf.
Die da oben, die Systemlinge
Somit komme ich also nur zu den „Die da oben“ und deren „Systemlinge“ – also zu denen, die für uns vielleicht noch erreichbar sind.
Eine Formulierung, wie sie sonst gern umgekehrt von Eliten verwendet wird:
„Die Bürgerinnen und Bürger, die noch für uns erreichbar sind.“
Vielleicht ist es an der Zeit, die Perspektive umzudrehen. Denn aus Sicht vieler Menschen wirkt Politik wie eine Sendeanstalt ohne Empfangsgerät. Wer sich ernsthaft um Anschluss bemüht, wird oft mit Floskeln abgespeist. Wer Fragen stellt, bekommt Strategien statt Antworten.
Genau deshalb spreche ich nur die an, die noch offen sind für andere Lebenswirklichkeiten und nicht jene, die sich in ihrer eigenen Filterblase für unangreifbar halten.
Alle reden von Verantwortung. Und vergessen dabei, wem sie eigentlich verantwortlich sind. Sie beobachten, analysieren, beraten, aber oft ohne je gefragt zu haben:
Wie lebt eigentlich ein Mensch ohne Backup? Ohne Netzwerk? Ohne doppelte Böden?
Es ist nicht der Hass auf Eliten, der gefährlich wird. Es ist ihre Gleichgültigkeit gegenüber dem, was nicht in ihre Narrative passt.
Reissbrett, Realität, Resonanz
Doch bevor man ihnen pauschal Böswilligkeit unterstellt, sollte man sich etwas klarmachen: Es geht nicht um Inkompetenz. Nicht einmal um Arroganz. Es geht um eine systematische Entkopplung von Wirklichkeit und Wirkung.
Diese Entkopplung ist kein Zufall. Sie entsteht in einem System, das unter Druck steht. Klimakrise, soziale Spannungen, globale Abhängigkeiten, digitale Disruption. Politik, Medien, Wissenschaft – alle kämpfen mit einem Paradox:
Sie sollen Komplexität steuern, ohne Vertrauen zu verlieren. Sie sollen führen und gleichzeitig zuhören. Sie sollen Klarheit schaffen, in einer Welt, die immer mehr Widerspruch produziert.
Wer lange genug in der Umlaufbahn politischer Routinen kreist, verliert irgendwann das Gewicht der Dinge. Ein Gesetzesentwurf ist dann kein Eingriff ins Leben mehr, sondern ein Haltungsbeweis. Die Realität? Ein Störgeräusch.
Willkommen im Maschinenraum der Repräsentation.
Politik – Entscheidungen ohne Bodenhaftung
Wenn Gesetze vom Reissbrett fallen und auf Menschen aufschlagen.
Es sind nicht die Reformen an sich, die das Vertrauen kosten. Es ist die Art, wie sie gemacht werden: schnell, komplex, gut gemeint und oft so kommuniziert, als wäre Einwand gleich Rückschritt.
Die Heizungsdebatte war kein Ausrutscher, sondern ein Symptom. Sie steht für eine Politik, die mehr auf Modelle als auf Menschen hört. Für einen Diskurs, in dem moralische Dringlichkeit über soziale Rücksicht gestellt wird. Und für eine Haltung, die oft denkt: „Wenn wir’s erklären, verstehen sie’s schon.“
Hinzu kommen aus Politik und Medien noch die Elite-Erklärer:innen, die mit dem geplanten Heizungsgesetz ihre Masche weiterdrehen können. Also absichtlich Bullshit in ihrem Sinne darüber verbreiten. Diese elitäre Klientel ist noch schlimmer, weil sie bewusst manipulieren und die Diskrepanz weiter fördern.
Doch viele Menschen wollen gar nicht belehrt werden. Sie wollen gesehen werden. Wer nur mit wirtschaftlicher Förderung reagiert, aber keine sprachliche Resonanz bietet, trifft nicht das Herz, sondern höchstens den Kontoauszug.
Die Frage war nie nur: „Können sich die Leute die Wärmepumpe leisten?“ Sondern: „Fühlen sie sich als Teil dieser Transformation – oder nur als Hindernis?“
Es wäre unfair, diesen Bruch allein den Akteuren anzulasten. Denn ihre Aufgabe ist schwerer geworden: Zwischen Einzelinteressen und Gemeinwohl, Klimaschutz und Lebensrealität, globalen Vorgaben und lokaler Akzeptanz balancieren sie auf einem Drahtseil, ohne Netz.
Das ist keine grüne Spezialität. Auch andere Parteien beherrschen es meisterlich, strukturelle Blindheit mit strategischer Sprache zu kaschieren. Ob Bürgergeld, Bahnpolitik oder Bildung – der Reflex bleibt derselbe: Entweder Managementrhetorik oder Empathiesimulation. Beides ersetzt keine echte Nähe.
Politische Kommunikation scheitert heute nicht an Fakten, sondern an Vertrauen. Wer führen will, muss nicht nur Lösungen präsentieren, sondern auch das Gefühl vermitteln:
„Wir wissen, dass es euch betrifft.“
Genau dort aber beginnt die Elitenlücke.
Widerspruch als Selbstzweck
Ein weiteres Phänomen der medialen Selbstbeschäftigung ist die Lust am innerparteilichen oder koalitionsinternen Widerspruch.
Journalist:innen stürzen sich mit Vorliebe auf Differenzen innerhalb der Regierung, ganz gleich ob es sich um einen Minister handelt, der dem Fraktionschef widerspricht, oder um eine Staatssekretärin, die eine Position relativiert, die gerade noch als Parteilinie galt. Das ist zwar aus Sicht politischer Kontrolle legitim. Aber:
Was hilft mir das als Bürger?
Ob die SPD 2025 im Juli mit der CDU zankt, weil ihr Sozialminister eine andere Linie fährt als der Innenminister, das mag für Hauptstadtjournalist:innen spannend sein, wirkt aber draußen wie ein Ritual der Verantwortungslosigkeit.
In vielen Talkshows wird nicht erklärt, wie Politik wirkt, sondern wer sich widerspricht. Als sei das Bürgerinteresse eine Fußnote hinter dem Fraktionsgezänk. Man ergötzt sich am innerkoalitionären Knirschen, als wäre es ein Beziehungsdrama.
Dabei fragt sich draußen längst keiner mehr, wer recht hat, sondern ob überhaupt noch jemand handelt.
Und wenn der Konflikt einmal zu laut wird, dann tritt irgendein Fraktionsvorsitzender oder Parteisprecher vor die Kameras, widerspricht halbherzig, mit dem üblichen Politikernullsprech à la „alles im Rahmen der internen Klärung“ und hofft, dass sich die Wogen legen.
Aber jede*r merkt: Da ist keine Linie. Da ist kein Vertrauen. Da wird man für blöd verkauft.
Es ist diese Mischung aus Show, Sprachwolke und Selbstverteidigung, die die Glaubwürdigkeit ruiniert, nicht der Widerspruch selbst.
Und auch hier sei wieder eine Einzelne genannt, die viel – auch zu Unrecht – dafür beschimpft wurde, weil sie mit allerhand Nullsprech irgendwelches kindische Gezänk glätten musste: Ricarda Lang.
Damals noch Fraktionssprecherin, war sie oft gezwungen, öffentlich auszubügeln, was andere intern zerredet hatten. Sie wurde zur Gesichtsmaske des Konflikts und damit Projektionsfläche für Frust. Später, als sie keine Sprecherin mehr war, hat sie das in einem Interview bemerkenswert ehrlich reflektiert: Dass es belastend sei, ständig das Chaos anderer in professionelle Kommunikation zu überführen und dass Ehrlichkeit in solchen Rollen oft nicht gewollt, sondern strategisch kanalisiert werde.
Diese Selbstkritik ging im öffentlichen Lärm fast unter. Dabei wäre genau diese Offenheit ein Zeichen von Stärke gewesen, wenn man sie gelassen hätte.
Pseudo-Volksnähe und Feindbildpflege
Während ein Teil der Eliten sich von der Lebensrealität entkoppelt hat, flüchtet sich ein anderer Teil in die Simulation von Nähe. Besonders Akteure aus CDU und CSU präsentieren sich gern als Stimme des „normalen Bürgers“ – und meinen damit meist: die eigene Empörungsprojektion auf das linke Lager.
Statt Realitäten zu erfassen, arbeiten sie sich an Narrativen ab. Gendern, Schnitzel, Wärmepumpe, Migration, Woke-Kultur – das alles wird nicht diskutiert, sondern skandalisiert. Als stünde hinter jeder progressiven Idee ein Angriff auf die Ordnung.
Sie glauben, dem Volk eine Stimme zu geben. In Wahrheit zitieren sie die Lautesten. Die Kommentarspalten, die Schlagzeilen, die Shitstorms. Und verwechseln dabei Lautstärke mit Legitimität.
Besonders bitter ist, dass ausgerechnet jene, die im öffentlichen Diskurs am häufigsten Zielscheibe politischer Empörung sind, oft diejenigen sind, die sich noch öffentlich selbstkritisch korrigieren. Kürzlich wurde das grüne Spitzenduo in Duisburg-Marxloh von der Presse dabei beobachtet, wie sie über die AfD-Anziehungskraft junger Männer reflektierten – nicht aus Kalkül, sondern aus echter Selbstbefragung heraus.
Auch Habecks oft belächelte „Küchentischgespräche“ waren weniger PR als der Versuch, echte Resonanzräume zu schaffen, in einer Zeit, in der viele Verantwortungsträger:innen lieber senden als hören.
Der Effekt: Wer wirklich pragmatisch denkt, differenziert, zweifelt, wird zwischen den Extremen zerrieben. Denn auch in der sogenannten „bürgerlichen Mitte“ gilt inzwischen:
Wer nicht empört ist, wirkt verdächtig.
Dabei gibt es sie, die Normalbürger:innen. Sie schütteln den Kopf über Stammtischparolen, über identitäre Abwehrreflexe, über Symbolpolitik von allen Seiten. Sie sind aber selten laut. Wer immer nur den Lauten zuhört, wird irgendwann taub für die Vernünftigen.
Und während Robert Habeck sich dafür verspotten lässt, am Küchentisch zuzuhören bzw zugehört zu haben, und Heidi Reichinnek zwischen Reden, Denken und Laufen kaum unterscheidet, reicht es andernorts, in die Kamera zu beißen, eine Leberkässemmel zu halten und das Ganze mit „Ich bin einer von euch“ zu betiteln.
Politik wird zur Pose. Bürgernähe zur Bühnensprache.
Ausgerechnet jene, die es ernst meinen, wirken dann wie die Fremdkörper, in einem System, das Echos mehr liebt als echte Stimmen.
Mini-Vignette: Bürgernähe als Pflichtweg
Bürgernähe beginnt nicht bei Talkshowzitaten.
Sie beginnt dort, wo Menschen durch Systeme gehen müssen, die ihnen nichts zutrauen – und alles abverlangen.
Wer heute einen neuen Personalausweis braucht, erlebt das Prinzip Verwaltung in Reinform: Pflicht zum biometrischen Passbild, auf eigene Kosten.
Termin beim Amt – wenn es überhaupt erreichbar ist.
Gebühren – für ein Dokument, das primär dem Staat nutzt, nicht dem Menschen.
Digitalisierung? Wäre schön.
Denn genau dafür sei der neue Perso ja gedacht. Nur: Die digitale Infrastruktur scheitert krachend.
Die Online-Funktion ist umständlich, ungenutzt, häufig deaktiviert, ein Potenzial, das systematisch verpufft.
Dahinter steht ein tieferes Problem:
Der Staat traut seinen Bürger:innen nicht.
Er verlangt Dokumente, Nachweise, Identitäten, bei jeder Gelegenheit. Aber er bietet im Gegenzug nur selten Verlässlichkeit, geschweige denn Service.
Und doch fordert er regelmäßig Vertrauensvorschuss: Im Namen der Sicherheit, der Ordnung, der Digitalisierung.
Was bleibt, sind luftleere Versprechen, bürokratisch durchgeorgelte Prozesse und das stille Gefühl:
„Ich bin hier nicht gemeint – ich bin hier kontrolliert.“
Das ist kein Verwaltungsproblem. Das ist ein Resonanzbruch mit Siegel.
Ein letzter Satz reicht nicht
Es wäre zu einfach, jetzt zu fordern: „Die Eliten müssen den Menschen wieder zuhören“. Zuhören allein reicht nicht, wenn man den Tonfall nicht erkennt. Wenn man nur filtert, bewertet, kommentiert, aber nie begreift, was zwischen den Zeilen schreit.
Vielleicht brauchen wir keine neuen Eliten. Vielleicht brauchen wir nur Eliten, die nicht alles allein tragen wollen. Die zeigen: Wir ringen selbst und wir laden euch ein, mitzuringen. Denn wer Verantwortung übernimmt, ohne Resonanz zu suchen, wird irgendwann nicht mehr führen, sondern verlieren.
Wo Menschen nicht mehr mitgemeint sind, werden sie irgendwann gefährlich, für jedes System, das sich für klüger hält als seine Bevölkerung.
Ich befürchte, „Niemand“ wird immer stärker …

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