Steve Bannon ist kein Relikt der Trump-Ära. Er ist Gegenwart.
Nicht in Ämtern, sondern in Algorithmen, in Rhetoriken, in toxisch geteilten Weltbildern. Als politischer Ideologe, Medienarchitekt und selbsternannter „Zivilisationsretter“ hat er eine Strategie in die Welt gesetzt, die längst über die amerikanische Rechte hinaus wirkt. Sie ist nicht neu, aber in ihrer Skrupellosigkeit systematisiert:
Flood the zone with shit.
Das ist kein zufälliger Satz, es ist das strategische Grundrauschen einer ganzen Bewegung. Übersetzt: Überflute den öffentlichen Raum mit Desinformation, Ablenkung, Halbwahrheiten, Empörungsnarrativen und rhetorischem Nebel. So umfassend, dass der Diskurs nicht mehr geführt, sondern zersetzt wird.
Nicht durch Argumente, sondern durch schiere Menge. Nicht durch Tiefe, sondern durch Lautstärke. Nicht durch Überzeugung, sondern durch Überforderung.
Die Strategie zielt nicht auf Konsens, sie zielt auf Auflösung. Auf die Erosion des Gemeinsamen, des Verständlichen, des Überprüfbaren. Durchlöcherungen der gemeinsamen Basis, trotz harten Diskurs oder Ringen um die Sache.
Wahrheit? Wird übertönt.
Fakten? Werden relativiert.
Vernunft? Wird mürbe gemacht, durch Dauerbeschallung.
Das Perfide daran: Viele merken es nicht. Oder sie gewöhnen sich daran. Aber wer sich an Lärm gewöhnt, stellt irgendwann den Hörsinn ab.
Evolution durch Eskalation
In Deutschland hat diese Taktik längst Fuß gefasst. Speziell Parteien vom rechten Rand, ihre medialen Spiegelflächen, ihre rechtsdrehenden Influencer-Kanäle, aber auch Teile der etablierten Presse übernehmen das Prinzip in variierter Form: Sie konstruieren Skandale, setzen gezielte Aufregerthemen, bedienen sich emotionaler Trigger, unterwandern Kommentarspalten und Talkshows.
Ihre Methode ist keine inhaltliche, sie ist taktisch: Den Raum besetzen. Die Frequenz kontrollieren. Die Tonlage bestimmen. Sie behaupten Meinungsfreiheit, während sie Diskursräume vermüllen. Sie rufen Lügenpresse, während sie selbst die semantischen Rohre verstopfen. Sie erklären sich zu Opfern, während sie gezielt Realitäten umschreiben.
Es geht ihnen nicht um Wahrheit, es geht um die Erschöpfung derer, die sie verteidigen oder suchen. Die Folge ist Spaltung. Auch am Esstisch.
Float with shit.
Das ist der passive Reflex, der aus diesem Dauerbeschuss erwächst. Menschen, die sich nicht mehr wehren. Nicht weil sie überzeugt sind, sondern weil sie müde sind. Resigniert. Reizüberladen. Die irgendwann denken: „Ach, das wird man ja wohl noch sagen dürfen …“ und dabei nicht bemerken, dass sie längst Teil des Echoeffekts geworden sind.
Der öffentliche Diskurs wird damit nicht nur lauter, er wird unbrauchbar. Je mehr Unsinn im Raum steht, desto geringer wird der Wert des Sinnvollen. Je öfter gelogen wird, desto weniger lohnt es sich zu widersprechen.
Und genau das ist die Wirkung:
Nicht das Argument zerstören, sondern die Aufmerksamkeit. Nicht gewinnen, sondern zermürben.
Bannon ist noch da und seine Strategie auch. In den Kommentarspalten, in Wahlergebnissen und in der Müdigkeit der Vernünftigen.
Es ist wichtig zu verstehen, dass dahinter keine „Macht“ sitzt, die diesen Mechanismus steuert. Auch wenn speziell rechtspopulistische Netzwerke oder dort verortete Parteien dieses System nutzen, es handelt sich um eine Systemlogik.
Und sie entwickelt sich weiter. In Algorithmen, in Rhetoriken, in Weltbildern und in Filterblasen.
Von der Strategie zur Systemlogik
1. Was als Taktik begann, ist heute Struktur. Die Strategie der Desinformation war einmal bewusst gesteuert. Jetzt ist sie Betriebsmodus der Plattformlogik.
2. Algorithmen kennen keine Wahrheit, nur Reichweite. Was polarisiert, wird belohnt. Was differenziert, wird übersehen. So gewinnen Lüge und Lärm.
3. Aufmerksamkeit ist das neue Überlebensprinzip. In der digitalen Arena setzt sich nicht das Beste durch, sondern das Auffälligste. Evolution durch Eskalation.
4. Unsere Gehirne sind überfordert.
Alte Instinkte prallen auf neue Technologien. Emotionales Denken wird systematisch getriggert, bis zur Erschöpfung.
5. Niemand muss mehr steuern, es steuert sich selbst. Die Maschine läuft. Von selbst. Der Algorithmus braucht keine Verschwörung, nur genug Futter.
6. Reaktion allein reicht nicht.
Faktenchecks sind Pflaster auf offenen Systemwunden. Es braucht neue Ethik, andere Architektur und kulturelle Resilienz.
Die wahre Macht im Hintergrund?
Wir selbst!
Mit jedem Klick, jedem Share, jedem impulsiven Kommentar stärken wir das, was wir eigentlich überwinden wollen.
Empörung funktioniert so gut, weil sie sich rechnet. Plattformen wie Meta, X und TikTok verdienen daran. Ihre Algorithmen machen aus Aufmerksamkeitsraub ein Geschäftsmodell.
Empörungsökonomie wird auch von Medienhäuser betrieben. Klassische Verlage und Sender, die Clickbait, Drama und Skandalisierung als Geschäftsmodell etabliert haben. Der Clickbait und Kommentarspalten kommen und verschwinden schneller als man passende Antworten schreiben kann, die dann sowieso im digitalen Nirvana verschwinden.
Was hier noch purer Zeitdiebstahl ist, kann jedoch in der Realität schwerwiegende Folgen haben …
Realsatire im Schleudergang
Während rechte Demagogen und Digitaldarwinisten „Systemmedien!“ keifen, rennt ein großer Teil dieser Medien auf Zehenspitzen durch jedes neue Gesetzesleck, jede Regierungspanne, jede Empörungsrunde im Bundestag. Sie berichten, kommentieren, spekulieren – aber bitte nicht verwechseln: recherchieren wäre ja journalistische Arbeit.
Und so liefern sie täglich frisches Empörungsfutter. Genau jenen, die sie pauschal als gleichgeschaltet diffamieren. Das ist, als würde man dem Koch die Suppe ins Gesicht spucken und dann nach Salz fragen.
Bestes Beispiel: das sogenannte „Heizungsgesetz“. Ein medialer Totalschaden. Statt Einordnung gab’s Panikverstärker. Statt Analyse: Eskalationsbegleitung. Und währenddessen klickt sich der Empörte durchs Dauerfeuer und nennt das „Aufwachen“.
Was dagegen hilft?
Nicht schreien. Aber auch nicht schweigen. Klar bleiben. Laut werden, wenn es nötig ist. Laut mit Ablehnung sein. Grenzen ziehen. Mechanismen der Empörungsindustrie klarmachen.
Es nutzt nichts, wenn man seine Energie wegen Nichtigkeiten verbläst. Manche künstlich erzeugte Empörungen gehen wieder so schnell, wie sie gekommen sind. Manchmal fragt man sich, ob man selbst in einer digitalen Blase gefangen ist. Die Realität der Mitte kann nämlich eine gänzlich andere sein.
Auch ich mag mich nicht mehr mit diesem kleinkieseligen und kleingrieselnden Dummfug befassen. Nicht mit künstlichen Aufregern. Nicht mit Empörungs-Pingpong. Und schon gar nicht, wenn ausgerechnet die, die sich regelmäßig über Gender-Toiletten, Geschlechterfreiheit, ZDF-Kabarett und Windräder aufregen, mir erklären wollen, Empörung sei ein Problem “der anderen Seite“.
Und dennoch: Vielleicht ist genau diese gezeigte Empörung auch ein Symptom. Eine Verhärtung aus Angst. Eine unvollständige Verarbeitung von persönlicher Freiheit – die nicht nur einem selbst zusteht, sondern auch anderen.
Strategien gegen den Diskursverfall
1. Denk- und Datenhygiene statt Dauerfeuer.
In einer Welt, in der Meinung schneller geteilt wird als verstanden, ist mentale Klarheit Widerstand. Nicht jedes Schlagwort verdient eine Reaktion, nicht jede Headline deine Aufmerksamkeit. Begrenze gezielt den Zugang zu Reizräumen, Kommentarspalten, Empörungskanälen, Algorithmushöllen. Blocke oder entferne Accounts, die mit ihren Ausgüssen hinter der Grenze des Zumutbaren agieren.
Gönn deinem Kopf Stille. Und deiner Urteilskraft Raum.
2. Diskurs schützen, nicht gewinnen
Der Diskurs ist kein Boxkampf. Wer mit Wucht antwortet, verliert oft die Haltung. Stattdessen: Stelle Fragen. Höre zu. Benenne Manipulation. Und ziehe klare Grenzen. Ein Gespräch darf enden, wenn es toxisch wird. Es muss nicht jeder Schlagabtausch ausgetragen werden.
Die Würde liegt oft im Gehen.
3. Mikrohandlungen im Alltag
Der Widerstand beginnt nicht in Talkshows, sondern beim Bäcker, auf dem Elternabend oder in der Familiengruppe. Ein klarer Satz zur richtigen Zeit – höflich, aber bestimmt – kann mehr bewirken als 1000 Posts. Sag, wenn dir etwas zu viel wird. Und empfehle weiter, was Tiefe hat.
Diskurspflege ist Alltagspflege.
4. Resonanzräume statt Reichweite
Nicht der Lauteste hat recht, sondern der, der gehört wird – mit Inhalt. Schaffe oder fördere Räume für echtes Zuhören: Lesezirkel, Blogs, Podcasts, analoge Gespräche. Auch drei Menschen, die sich aufrichtig zuhören, sind ein Bollwerk gegen den Lärm.
Qualität ist kein Zahlenwert.
5. Langsamkeit als Widerstand
Reaktionsgeschwindigkeit ist kein Maß für Klugheit. Wer innehält, denkt. Wer denkt, filtert. In einer Welt, die nach sofortiger Stellungnahme schreit, ist Reflexionszeit ein subversiver Akt.
Deine Meinung muss nicht als Erste im Raum sein, nur als durchdachte.
6. Haltung statt Lautstärke.
Position ist nicht gleich Pose. Wer Haltung hat, braucht keine Dauerempörung. Sag klar, wofür du stehst und nicht nur, wogegen du bist. Und steh das auch durch, wenn’s unbequem wird.
Haltung ist das, was bleibt, wenn der Shitstorm weiterzieht.
7. Innere Arbeit – der leise Schutzwall
Der Diskurs beginnt in dir. Wer seine eigenen Resonanzflächen kennt, lässt sich seltener triggern. Was bringt dich aus der Ruhe? Was davon ist deins, was gehört anderen? Pflege deine Klarheit, deinen Humor, deinen Mut und deine Emphatie.
Und vor allem: deine Menschlichkeit.
8. Aufklärung unterstützen, gezielt.
Wer dem Diskursnebel etwas entgegensetzen will, kann gezielt Initiativen, Projekte und Medien unterstützen, die sich faktenbasiert, differenziert und unabhängig mit Desinformation, Rechtspopulismus und Polarisierungsmechanismen auseinandersetzen.
Oder einfach regelmäßig mitlesen, um das eigene argumentative Immunsystem zu schärfen, denn Widerstand beginnt mit Orientierung.
Es gibt zahlreiche Projekte, die sich dem aufrechten Denken verschrieben haben. Besonders sind sie, wenn sie polarisierten Gemütern als Feindbild taugen:
Volksverpetzer – faktenstark, pointiert, engagiert gegen rechte Narrative
https://www.volksverpetzer.de
Correctiv – unabhängiger investigativer Journalismus mit Faktenchecks
https://correctiv.org
Der goldene Aluhut – humorvoller, aber fundierter Umgang mit Verschwörungsideologien
https://www.dergoldenealuhut.de
HateAid – Unterstützung für Betroffene digitaler Gewalt & Einsatz für digitale Zivilcourage
https://hateaid.org
Mimikama – Faktenchecker rund um Fakes & Hoaxes in sozialen Medien
https://www.mimikama.org
BZGA / Klicksafe / Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) – umfassende Materialien zu Medienkompetenz, Demokratie und Desinformation
https://www.bpb.de
https://www.klicksafe.de
GWUP – Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften. Vernunft, Wissenschaft, Aufklärung. Kritische Einordnungen zu Verschwörungstheorien, Pseudomedizin, Esoterik und Co. – fundiert, unaufgeregt, faktenbasiert.
http://www.gwup.org
Psiram – Anonyme Wissensplattform gegen pseudowissenschaftlichen Unsinn. Vollgepackt mit Informationen zu alternativen Heilern, rechten Netzwerken, Verschwörungsunternehmern und ideologischen Verstrickungen.
http://www.psiram.com
9. Prüfe, ob Dein Misstrauen wirklich Deines ist.
Aufklärungsportale wie Correctiv, Volksverpetzer oder Hoaxmap sind nicht unangreifbar, aber ihr Job ist Aufklärung, nicht Spaltung. Wenn Du bei ihren Namen Abwehr spürst: Vielleicht wurdest Du schon “geflutet“. Dann lohnt es sich, gerade da zu graben.
Es geht nicht darum, alles zu glauben, was dort steht, sondern darum, sich in einem intellektuell redlichen Rahmen zu bewegen. Wer mag, kann diesen Seiten folgen, Beiträge teilen, spenden oder einfach regelmäßig mitlesen, um das eigene argumentative Immunsystem zu schärfen.
Wer sich zu lange im Strom aus Dreck treiben lässt, wird irgendwann selbst zur Tonne, in die andere entsorgen, was sie nicht mehr denken wollen.
Es geht auch nicht darum, zu siegen. Es geht darum, nicht unterzugehen. Nicht im Strom der Desinformation. Nicht im Dauerrauschen. Nicht in der eigenen Müdigkeit. Es geht darum, Diskussionen mit Erkenntnisgewinn wieder zu ermöglichen.
Denn wer beim Sinken das Atmen nicht verlernt, wird nicht zum Wrack. Sondern zum Leuchtturm.
(Anmerkung: Dieser Artikel basiert auf einem Absatz aus „Boomer*innen – Rückblick ohne Prilblumen“)

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