Das Pedal und die Stille

Rekuperation der Erinnerung

Ich bin angekommen.

Nicht am Ziel, nur an einem ruhigen Ort, für eine kleine Orientierungspause.

Ich möchte mich ungestört mit dem neuen Auto vertraut machen. Will jedes Schalterchen, jede Einstellung, jedes Menü und jede Schraube kennenlernen.

Es ist ein E-Auto und die Neugier treibt mich. Ich will nur wissen, damit ich mich und meinen Alltag besser mit der Technik verzahnen kann. Das ist keine Unterwürfigkeit, es ist eher lernender Pragmatismus, um keine Energie mit Gegenarbeit verschwenden zu müssen.

Ich drücke den Stop-Knopf und betrachte das summende Abschiedslogo im Display. Der Computer fährt herunter und mit ihm das System aus Displays, Steuergeräten, Relais und Sensoren. Ich mag das leuchtend-animierte Gebimsel und die altersgerechte Fahrer-Assistenz. Einiges davon ist mir schon vom Verbrenner bekannt.

Ich bleibe noch einen Moment in der Stille sitzen und überlege, ob ich auf den letzten zwanzig Kilometern eigentlich gebremst habe.

Also richtig. Mit dem Bremspedal.

Ich bin mir nicht sicher …

Das Pedal war da und natürlich funktioniert es. Aber es fühlt sich an wie Sonderzubehör. Etwas, das man für den Notfall mitführt und nicht für den Alltag.

Das ist neu für mich.

Ich steige aus und gehe ein paar Schritte im Wald. Die Kälte greift um die Nase – und eine trotzige Wärme um meine Erinnerungen.

Ich bin mit Autos und Mechanik groß geworden. Mit Kupplung, Schaltung, Drehzahl und Geräuschankündigung. Mit Motoren, die erst etwas versprechen mussten, bevor sie liefern durften. Ich kenne sogar noch „Choke ziehen und zureiten, bis der Bock endlich geschmeidig läuft“.

Zwischengas geben, wie lange ist das wohl her?

Die Abgase – man konnte am Geruch beurteilen, ob’s rund läuft. Nein, es stank für mich nie, es roch nach Mobilität und Aufbruch.

Klar, es hat sich in den letzten Jahrzehnten vieles verändert. Erkenntnis, dass individuelle Mobilität einen Preis hat – auch für Unbeteiligte. Dass Rohstoffe endlich sind. Der Gebrauch wurde vereinfacht, verbessert, damit auch die eigene Arbeit im Fahrzeug reduziert und das Fahren insgesamt entspannter. Aber auch im vorherigen Golf 7 mit butterweichem DSG-Automatikgetriebe, genügend PS und ausgefuchster Motorsteuerung, spürte ich die unvermeidbaren Lücken der Mechanik.

Ich weiß auch um die Komplexität von heutigen Verbrennungsmotoren, die ich für überdreht halte. Sie ist das schwer gewordene Ergebnis des Wunsches, leichtfüßige Eleganz zu züchten. Die nötigen Regelungen zur Schadstoffreduzierung tun ihr Übriges.

Verlorene Direktheit

Ich erinnere mich wehmütig-schmunzelnd an meinen Ford Escort 1600 RSi, den ich vor 40 Jahren gefahren habe. 115 PS, rund 145 Newtonmeter (bei 4500U/min) aus 1,6 Litern Hubraum. Doppelzündspule,  K-Jetronic (im Prospekt als „Computerzündig“ beworben …) und jede Menge Detailtuning ab Werk, an dem sich TÜV-Ingenieure alle zwei Jahre abarbeiteten.

Abgasprüfung (damals AU): Erst war Ratlosigkeit angesagt – Motorhaube auf, Stirnrunzeln, Rückzug ins Büro. Dann kam oft ein leises „Oh … ist ja kein XR3i“.

Ich fand das immer eher witzig als nervig. Zum Glück wusste ich, wie ich die falschen Einstellungen korrigieren konnte, damit die Kiste wieder richtig am Gas hing. Es gab nämlich ein echtes Werkstattheft-Sonderheft zu dem RSi und das habe ich gehütet wie ein Schatz, wohl auch in dem Irrglauben mehr zu wissen als der TÜV …

Die neumodischen LEDs im Tacho mit gelb-roter Schubabschaltungsanzeige – nicht nur lauthals beworben, die war sogar nützlich. Der Tank im RSi war nämlich durch Leichtbau etwas klein geraten. 35 Liter, davon 30 nutzbar mit vielleicht 350 Kilometer Reichweite – und damit musste man auskommen, indem man öfter ausrollen ließ.

Ich hab das Blinken der LED geliebt.

Ok, weniger die LED-Ölstandswarnung durch verschlissene Ventilschaftdichtungen …

Nach heutigen Maßstäben keine besondere Fahrleistungen. Trotzdem war da diese Direktheit. Nicht schnell im heutigen Sinn, sondern unmittelbar. Der Weg vom Fuß zur Bewegung war kurz, ungefiltert, ehrlich.

Diese Art von Direktheit ist im heutigen Straßenverkehr mit Verbrenner kaum noch möglich. Nicht, weil sie technisch unmöglich wäre, sondern weil sie nicht mehr zugelassen wird. Heute wäre der Escort ein teurer Oldtimer.

Ich Idiot, warum habe ich den RSi nicht konserviert

Stromer sind auch komplex – nicht in der Mechanik, sondern im Akku und in der unsichtbaren Software. Sie liefern zwar nicht mit jeder Auto-Quartettkarte Bestwerte, aber die mit der Zeit verlorene Direktheit. Genau diese Direktheit entsteht nicht aus Zylindern und Brachialwerten, sondern aus der Übereinstimmung von Pedal, Reaktion und Physik. Sie ist mit den Stromern dorthin gewandert, wo Energie wieder ohne Umwege wirkt.

Mir geht es dabei auch nicht um High-End-Autos. Ging es nie. Es ist nicht die Spitze, die mich interessiert, sondern das Normale. Und hier verschiebt sich gerade etwas. Und zwar nicht durch technischen Aufwand, sondern durch weglassen.

Das ändert doch einiges, finde ich.

Es entsteht nicht nur ein neuer mobiler Aufbruch, sondern auch eine Art gedanklicher Neuaufbruch. Mit etwas Ruhigerem und Geruchlosem – und das muss ich erst synaptisch mit Mobilität verbinden. Das braucht Zeit, aber ich merke, wie es Formen annimmt.

Ich laufe zum Auto zurück, schaue mir die fast ungenutzten Bremsscheiben an, steige grinsend wieder ein und drücke den Startknopf. Das System aus Relais, Sensoren und mitteilungsbedürftigen Displays fährt hoch. Fein so. Was ich bedienen kann, muss leuchten und blinken.

Kein Anlassen mit Rütteln.

Kein „es läuft“. Einfach Begrüßungsbildschirm, Heizung – und Go.

Weiter geht’s, vom Parkplatz runtersummend ohne Eile …

Musikalische Effizienz

Ich stelle mir vor, wo und wie gerade der Strom geregelt wird. Wie der Elektronenfluss den Kraftstofffluss ersetzt. Ich höre den Grundton des E-Motors, darüber das modulierte Summen der Inverter und der Leistungselektronik – für mich eine elegante Melodie.

Eigentlich mochte ich das schon immer. Bei der S-Bahn, im ICE, beim E-Bike oder bei der Brotschneidmaschine. Ich kenne auch die rohe, ungezähmte E-Motor-Variante aus der Industrie. Den Respekt vor dieser elektrischen Wucht habe ich nie verloren.

Ungewöhnlich im Auto. Aber gezähmt und effizient.

Beim Verbrenner hört man die Folgen der Energie, im Stromer die Steuerung. Es klingt nach direkt verwendeter Energie.

Noch ein Stück Dorfstraße, dann raus auf die Landstraßen.

Interferenzfreiheit

Da ist sie wieder, diese geräuscharme Bewegung. Dieses ansatzlose lineare Beschleunigen. Es ist, als würde der Asphalt kurz loslassen. Der Zug kommt sofort.

Direkt, ohne mechanische Dramaturgie.

Es ist kein digitales Gefühl.

Im Gegenteil.

Es ist unglaublich analog.

Das Gaspedal ist jetzt ein echtes Poti. Mein Fahrmodus im Ford Puma Gen-E nennt sich One-Pedal-Drive. Er ist feinfühlig und mehrdimensional. Nicht nur Druck wird sofort umgesetzt, auch das Nachlassen. Dann wird rekuperiert. Das wirkt wie eine Bremse – und lässt das Fahrzeug bis zum Stillstand Energie zurückgewinnen.

Nicht viel pro Vorgang, aber in der Summe beachtlich.

Allein durch Loslassen.

Die alte Schubabschaltungs-LED des RSi ersetze ich gedanklich einfach durch die visualisierte Rekuperationsanzeige.

Passt … irgendwie und ist ein lustiger Gedanke. Loslassen – klingt pathetisch, ist aber schlicht Physik durch Entwöhnung des Bekannten.

Ich behandle das Pedal inzwischen wie eine Taste auf einem Keyboard. Nicht an oder aus, sondern modulierend. Besonders im alltäglichen Verkehr. „Vorausschauend fahren“ bekommt plötzlich einen produktiven Sinn.

One-Pedal-Drive macht man mit einem Fuß. Kein zappeliges Getrete mehr im Fußraum. Aber diese Fahrweise brauchte Umgewöhnung, denn abruptes Loslassen bedeutet starkes Verzögern – sogar mit Bremslicht. Gut, dass an die Umwelt mitgedacht wurde.

Vielleicht ist das alles gar nicht neu.

Vielleicht habe ich es nur wiedererkannt. Wie eine Carrera-Bahn aus den Siebzigern. Ein Poti in der Hand, ein Motor unter Strom – und Physik, die auch dann wirkt, wenn man loslässt. Die Bremsenergie des kleinen Gleichstrommotors wurde damals schlicht verheizt.

Mehr war auch nicht nötig.

Regelbare Beschleunigung, abruptes Verzögern – und die stille Hoffnung, dass es vor der Kurve reicht. Sonst musste man das Auto später mühsam unter dem Sofa hervorziehen, während die anderen zehn Runden weiterfuhren.

Im Straßenverkehr ist das natürlich anders. Es gibt keine Sofas, unter denen die Feuerwehr Fahrer:innen und Autos hervorholen müsste. Crashes sind meist verheerend – und hoffentlich fährt dann niemand vorbei.

Es ist ohnehin kein Wettrennen

Macht der Beschleunigung

Ich trete aufs Pedal.

Nicht brutal.

Nicht vorsichtig.

Einfach bewusst.

Irritiert? Warum? Es macht auch Spaß.

Als Dorfkind wäre es gelogen, dieses Gefühl zu verschweigen. Ich mag es, wenn die Büchse beim Beschleunigen das Gehirn kurz hinter den Hintern schiebt.

Aber etwas Entscheidendes ist anders geworden. Die brüllende Inszenierung fällt weg. Von außen fällt die Beschleunigung kaum auf. Kein Aufheulen. Kein Blick. Kein Kommentar.

Niemand bekommt es mit.

Es ist Kraft ohne Publikum.

Man ist allein in diesem Moment. Nur mit dem Grinsen im Gesicht, das man niemandem erklären muss.

Die Abstände zwischen den Dörfern werden einfach überflogen

Entschleunigung durch Beschleunigung

Dieses flugähnliche Dahingleiten ist anfangs irritierend, dann normal. Weil nichts festgehalten wird. Nicht die Gedanken. Nicht die Bewegung. Ich bin nicht mehr gebunden an die Hoffnung, dass eine Schaltmechanik gerade gut gelaunt ist.

Ein kurzer Autobahnabschnitt.

Kurz bis zur Vmax. Bei 160 km/h ist Schluss. Abgeregelt. Mehr passiert nicht. Kein Aha-Moment. Kein Mehr an Erleben. Nur eine Zahl, die größer wird, während alles andere gleich bleibt.

Mir wird klar: Genau hier endet der Reiz. Nicht, weil es nicht geht, sondern weil es nichts hinzufügt.

Was zählt, liegt darunter.

Das leichtfüßige Bewegtsein.

Das wollte ich nur noch einmal wissen

Irgendwann schiebt man das Gehirn wieder vor den Hintern. Nicht, weil man muss, sondern weil man es kann.

Ambivalenz der Technik

Ich habe keine Lust mehr auf Maschinen, die mir etwas vormachen. Die Freiheit versprechen, aber Lärm und Schadstoffe liefern. Die ihre eigene Komplexität inszenieren.

Trotzdem mag ich Verbrenner. Das wird sich nicht ändern. Ich liebe diese Mechanik, bin mit ihr groß geworden. Gerade deshalb stellt sich mir die Frage immer deutlicher:

Wozu eigentlich?

Für das Erleben – für mich nicht mehr.

Für den Alltag – schon lange nicht.

Die Mechanik war beeindruckend. Aber für mich ist sie nicht mehr nötig. Ich verstehe Verbrenner so, wie ich Dampfmaschinen und Transmissionsbänder verstehe. Sie waren notwendig, brillant und richtig – damals. Heute würdige ich sie, indem ich mich an sie erinnere. Sie waren und sind Ingenieurskunst, verdichteter Gehirnschmalz, gelebte Physik.

Sie waren Wegbereiter und Wegbegleiter.

Das hier fühlt sich nicht nach Verzicht an. Der Verzicht auf Komplexität macht das Erlebnis direkter. Es fühlt sich nach Aufräumen an.

Nach pragmatischer Eleganz …

Vielleicht schließt sich hier für mich eine Art DNA-Schleife. Vor über vierzig Jahren stand das „i“ im RSi für technologischen Fortschritt – für präzise Einspritzung, für Direktheit. Heute steht da ein „E“.

Der Weg ist ein anderer, der Kern derselbe: die Suche nach der direktesten Verbindung zwischen dem Wunsch der Fahrer:innen und der Reaktion der Maschine.

Der Puma Gen-E ist vielleicht der RSi der Generation E – nur ohne Stirnrunzeln beim TÜV …

Ausblicke

Ich komme zuhause an und sehe mir die Fahrdaten an. Die Reichweite ist im Winter kürzer, der Verbrauch höher. Kalte Luft. Minusgrade. 22 Grad Innenraum. Sitz- und Lenkradheizung.

Hey – ich bin 61 und will es warm.

Das kostet Energie, ja, und man sieht es sofort. Nichts wird versteckt, nichts schöngerechnet. Eine sehr direkte Rückmeldung des eigenen Handelns.

Eine Wärmepumpe würde den winterlichen Strombedarf senken. Sie sollte zumindest optional selbstverständlich sein. Sie kostet Geld, aber sie würde viel Wintergrübeln kleiner machen.

Ich rolle summend zur Ladebox.

Nach dem Anstecken werfe ich noch einen Blick auf die App-Anzeige. 10 kW an der 11-kW-Box, bei null Grad. Ich finde das beachtlich.

Es ist eigentlich nur ein Kompaktwagen …

Natürlich dauert eine volle Dröhnung 4 Stunden. Das ist aber egal, das Fahrzeug steht den Rest vom Tag nur rum. Zuhause laden ist bequem, kostengünstig und jederzeit möglich. Es ist einfacher, als an eine Tankstelle zu fahren, eine Zapfpistole einzuhängen und zu bezahlen. Gleichzeitig sehe ich die Herausforderungen für alle, die das nicht können. Hier gibt es noch viel Arbeit.

Viele sprechen von einem fahrenden Computer. Warum nicht? Schon heute passt „der Computer“ auf andere und auf mich auf. In Zukunft wird Fahren sicher stärker unterstützt, vielleicht autonom.

Ich fände das nicht schlecht. Es könnte Mobilität im Alter sichern. Und ich hätte während der Fahrt Zeit, an Knöpfen oder Displays herumzuspielen.

Es gibt noch viel zu tun für Ingenieur:innen. Gehirnschmalz ist da.

Was es braucht, ist Wille und Pragmatik.

Ich will weiter davon lernen, aber nicht auf die digitale Art. Nicht als Ja-Nein-Frage mit nur Dafür oder Dagegen.

Das analoge Rauschen meiner Erinnerungen ist kein Fehler im System.

Es ist die Rekuperation meiner bisher erlebten Energie – nicht verlustfrei und schadstofffrei, aber wirksam.

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