Der Peak-Power-Hype

Warum BYDs 5-Minuten-Wunder eher ein Instagram-Moment sind als eine Mobilitätsrevolution – und warum sie E-Mobilität eher behindern.

E-Mobilität ist irgendwie höchst interessant. Sie spaltet, verbindet und lässt scheinbar Menschen auch mal ratlos oder überfordert zurück. Und sie macht offensichtlich, dass Physik und Ingenieurstechnik nicht immer hoch im Kurs stehen. Und das im Land der Dichter und Denker.

Also muss wieder das nerdige Dorfkind ran. Aber nicht weil’s klüger wäre, nur um das Offensichtliche auszusprechen. Davon ab, ich hab’s auch erst besser beim Schreiben durchdrungen …

Über das Reichweiten-Argument hatte ich es ja hier schon. In diesem Text geht es um den Ladehype.

Die Ladethematik ähnelt stark früheren Gesprächen über Autos. Anstatt „Und… wie viel PS hatter?“ kommt jetzt „Und… wie schnell kanner laden?“.

Beide Angaben sagen aber relativ wenig über den Alltagsgebrauch und den Alltagsnutzen.

Drehmoment und Ladekurven sind viel interessanter …

Aktuell (Ende 2025) passiert es inzwischen so regelmäßig, dass man fast die Uhr danach stellen könnte: ein BYD-Post mit „400 km in 5 Minuten!!“, dazu ein energischer Schlag auf „die Deutschen“ und eine kWh-Pornografie, die jedes Mal tut, als hätte jemand gerade die Zukunft erfunden.

Und irgendwo kommentiert garantiert jemand:

„Was!? 1.21 Gigawatt! – Gütiger Gott!!

1.21 Gigawatt!“

Megawatt, Mythen und Missverständnisse

Man möchte Doc Brown kurz aus dem DeLorean ziehen, damit er erklärt, dass wir hier nur über Ladeleistung sprechen und nicht über Zeitreisen.

Und ja, seine Steckerchen, Kupplungen (!) und Käbelchen würden schon bei einem Megawatt in Sekundenbruchteilen verdampfen. Sie hätten wohl nur für seinen Haarfön gereicht.

Wenn wir mal fehlende Rückleitung, instabile Spannung und Stromstärke des Blitzeinschlags filmgerecht vergessen. Ein Blitz ist nunmal kein Stromkreis, sondern eine Leistungsentladung.

Potzblitz …

Ein Blitz kann zwar über ein Objekt zur Erde abfließen, aber das erzeugt keinen geschlossenen Kreislauf, sondern nur eine extrem kurze, zerstörerische Entladung. Da fließt nichts „zurück“, da zirkuliert nichts, es knallt einfach runter.

Der DeLorean hatte zudem Gummireifen. Selbst wenn man die Physik komplett ignoriert, wäre der Blitz nicht brav über den Fluxkompensator geflossen, sondern hätte dem Auto einmal die Elektrik wegrasiert und dann den kürzesten Weg ins Erdreich gesucht.

Wie viel sind 1 Megawatt und 1.21 Gigawatt wirklich?

1 Megawatt (1.000.000 Watt)

Das klingt in Kommentaren oft wie: „Bisschen mehr Strom, machbar, oder?“
In Wahrheit bedeutet es:

– 600–900 Ampere Dauerlast

– Kabel so dick wie ein Männerunterarm

– wasser- oder ölgekühlte Leitungen

– Stecker, die eher an Industrieanlagen erinnern als an Autos

– Netzanschlüsse auf dem Niveau einer kleinen Fabrik

1 MW ist kein Ladegerät. Es ist Industrie-Infrastruktur. PKW-Laden wird dadurch nicht einfacher, es wird sogar zur Tortur.

1.21 Gigawatt (1.210.000.000 Watt)

Die berühmte Zurück in die Zukunft-Zahl ist Filmzauber und physikalischer Irrsinn für mobile Systeme. Real bräuchte man:

– ein Kabel, das mit dem Kran bewegt werden müsste

– Leitungsquerschnitte größer als der Oberschenkel eines erwachsenen Mannes

– massive kupferne Kontaktflächen

– Transformatoren in der Größe von Schiffscontainern

– und ein Stromnetz, das bei Anschluss eines DeLorean schlicht in die Knie geht

Oder kürzer:

Bei echten 1.21 Gigawatt würde nicht der DeLorean durch die Zeit reisen, sondern die filmisch berühmte Kupplung und der Doc durch thermische Verdampfung.

Der DeLorean käme auch nicht vom Fleck, weil der Stromhaken zu massiv und schwer wäre.

Er hätte auf die kurze Distanz 88 mph (141,6 km/h) gebraucht und so zackig war ein DeLorean nicht – auch wenn er mal anspringt.

Man könnte aber darüber reden, ob das mit einem E-Auto möglich wäre …

Funfact: Der neue E-DeLorean Alpha 5 soll eine Höchstgeschwindigkeit von 249 km/h erreichen und in 4,4 Sekunden auf 142 km/h beschleunigen.

Würde man jetzt damit die Geschwindigkeit auf die filmisch kurze Distanz erreichen, würde sich der schöne DeLorean mit seinem Enterhaken um die baumdicke Spannungsleitung wickeln und dabei den Glockenuhrturm umreißen, der sowieso schon schief hängt …

„Zurück in die Zukunft“ ist wunderbar und Kult, aber rein physikalisch waren die Stecker pure Fiction – halt ohne Science.

Zurück zur realen Physik

Peak-Zahlen sind ein GIF-Moment

Der entscheidende Punkt wird in dieser BYD-Euphorie konsequent übersehen:
Eine kurze Leistungsspitze ist kein technologischer Durchbruch. Es ist ein schöner Marketingeffekt, der so alltagsrelevant ist wie ein Donut auf einer nassen Wiese.

Die Ladekurve entscheidet, also wie viel Energie über die gesamte Zeit tatsächlich im Akku landet. Eine gigantische Spitze bringt exakt gar nichts, wenn die Leistung nach 30 Sekunden auf Werte fällt, die ein Taycan seit Jahren stabil hält.

1 Megawatt ist keine Ladesäule – es ist ein Industrieanschluss

Man muss es nur einmal laut aussprechen, um zu merken, wie absurd die Debatte oft ist:

1 Megawatt

= Anschlussleistung eines kleinen Wohnblocks
= Kühlung wie in einem Rechenzentrum
= Mittelspannung
= Netzlast wie bei einer Fabrikhalle
= steht für exorbitant hohe Wartungs- und Sicherheitskosten

Trotzdem stehen in den Kommentaren Leute, die ernsthaft schreiben:

„Wenn’s geht, warum stellen wir das nicht an jeden Rasthof?“

Weil man dafür den halben Landkreis umgraben müsste, Karl-Heinz …

Megawatt für PKWs ist ein massiver technischer und infrastruktureller Overkill. Die Bereitstellung solcher Leistung an hunderten Raststätten würde gigantische Investitionen in das Mittel- und Niederspannungsnetz erfordern, was die Ladekosten extrem in die Höhe treiben würde und in vielen ländlichen Gebieten technisch kaum realisierbar wäre.

Am Ende würde das sogar den Ausbau kleinerer Ladesäulen und damit die Akzeptanz der E-Mobilität behindern.

E-Mobilität gewinnt nicht durch Rekorde

Das eigentlich Absurde an diesen Megawatt-Plänen ist die Realität dahinter: Die Lader funktionieren nur mit wenigen, hochspezialisierten Fahrzeugen, die es in Europa kaum gibt, sie stehen in extrem geringer Zahl, kosten ein Vermögen und liegen oft so weit auseinander, dass man erst hunderte Kilometer fahren müsste, um dort „schneller zu laden“.

Das ist kein Fortschritt, das ist infrastruktureller Leerlauf. Ein Schnellladenetz lebt von Verfügbarkeit, Zuverlässigkeit und Alltagstauglichkeit. Ein Ladenetz, das auf einer proprietären Norm basiert und nur einen Bruchteil der Fahrzeuge bedienen kann und höchstwahrscheinlich extrem teure Ladepreise hätte, schafft keine Infrastruktur – es schafft Inseln. Und Inseln lösen kein Mobilitätsproblem.

Ein weiterer Punkt, der gerne untergeht: BYD wirbt häufig mit Reichweiten nach der chinesischen CLTC-Norm. Die liegt im Schnitt 25–35 % über WLTP, weil sie langsamer, wärmer und völlig realitätsfern misst. Ein Auto, das in China „600 km“ schafft, landet in Europa meist eher bei 420–470 km WLTP. Wenn man dann gleichzeitig mit 5-Minuten-Ladeclips wirbt, entsteht ein Bild von Wunderautos, das im Alltag nicht existiert.

CLTC ist Schönwetter. WLTP ist Realität.

LKW: Ja. PKW: Bitte nicht.

Für LKW ist Megawatt-Laden eine völlig andere Geschichte. Mercedes zeigt mit dem eActros 600 ziemlich klar: Dort, wo man große Flächen, planbare Standzeiten und Mittelspannungsanschlüsse hat, funktioniert’s. Der eActros braucht’s auch. Ein 40-Tonner zieht seine 600–700 kWh leer wie ein Durstiger aus dem Feuerwehrschlauch.

PKW dagegen?

Da ist das so sinnvoll wie die Frage, warum man Benzin nicht einfach mit einem B-Rohr von der Feuerwehr tankt.

Geht das? Ja. Macht man es? Natürlich nicht. Weil Aufwand, Kosten und Sinnhaftigkeit gemeinsam in die Knie gehen würden.

Wir tanken also bewusst nicht in Formel-Eins-Manier, obwohl es möglich wäre.

Physik mag Pragmatismus

Die BYD-Posts ignorieren komplett, wie Menschen tatsächlich laden. Die meisten laden zu Hause, beim Arbeitgeber oder im Alltag nebenbei.

Die echte Frage lautet:

„Kann ich einfach anstöpseln und vergessen?“

„Ist eine Ladestation frei?“

„Was kostet es?“

„Stehe ich dann auf einem dunklen Hinterhof?“

Nicht:
„Wie viele Gigawatt ballert das Ding kurz vor der Zellschmelze rein?“

Akzeptanz entsteht nicht durch Rekorde, sondern durch den Alltag.

Der Durchbruch kommt durch:

– stabile Technik
– verlässliche Infrastruktur
– gute Ladekurven
– einfache Bedienung
– hell und sicher gestaltete Ladeplätze
– transparente (und günstige) Preise

Alles Dinge, in denen deutsche Ingenieursarbeit zum Teil schon glänzt – und einige, die politisch adressiert werden müssen.

Und alles Dinge, bei denen es noch genügend zu tun gibt.

Der unterschätzte Punkt: Ingenieurskunst vs. Peak-Schauspiel

Was mich an diesen Diskussionen wirklich nervt: dieses reflexhafte Runterreden deutscher  Ingenieursarbeit.

Was noch mehr nervt: wenn es von Leuten gemacht wird die gegenüber der E-Mobilität offen sind.

Daher mal ein Beispiel:

Der Porsche Taycan ist kein Auto, das man „mal eben“ kopiert. Thermomanagement, Dauerlast, Hochvoltarchitektur, Rekuperation, Software – das ist Weltklasse.

Die Technik hinter der Ladekurve
Die Fähigkeit von Fahrzeugen wie dem Porsche Taycan oder den E-Autos der Hyundai-Kia-Gruppe, ihre Ladeleistung über lange Zeit stabil zu halten, beruht auf zwei entscheidenden, eng verzahnten technologischen Säulen: der Hochvoltarchitektur und dem Thermomanagement.

Achtung, es wird ein wenig technisch

1. Die 800-Volt-Architektur (Die physikalische Grundlage)
Um eine hohe Leistung (P) zu übertragen, gibt es laut der Formel P = U \ I (Leistung = Spannung \ Stromstärke) zwei Hebel: die Spannung (U) oder die Stromstärke (I).

Warum 800 Volt besser ist?

Geringere Stromstärke: Durch die Verdoppelung der Spannung wird die benötigte Stromstärke zur Übertragung derselben Leistung halbiert. Es entsteht weniger Wärmeentwicklung, denn die Verlustleistung, die als Wärme freigesetzt wird, steigt nämlich quadratisch zur Stromstärke.

Eine halbierte Stromstärke führt daher zu nur einem Viertel der Wärmeverluste in Kabeln, Steckern und im Akku-Management-System (BMS).

Weniger Wärmeentwicklung erlaubt die Verwendung von dünneren und leichteren Kupferkabeln, was das Gesamtgewicht reduziert und die Handhabung der Ladekabel an der Säule deutlich erleichtert.

Niemand will einen prall gefüllten B-Schlauch rumheben

Die 800-Volt-Architektur reduziert den thermischen Stress von vornherein massiv. Sie schafft die Voraussetzung dafür, hohe Ladeleistungen überhaupt über längere Zeit zu halten, ohne dass die Komponenten schmelzen.

2. Das Thermomanagement

Auch mit 800 Volt entsteht noch Wärme. Das Thermomanagement ist das komplexe System aus Kühlkreisläufen, Pumpen und Sensoren, das die Zelltemperatur im optimalen Arbeitsfenster (meist 25–45 °C) hält.

Der „Taycan-Vorteil“ (Dauerlast): Im Gegensatz zu Systemen, die Wärme nur ableiten, wenn es „zu heiß“ wird (was oft zu sofortigen drastischen Drosselungen führt), sind Hochleistungsfahrzeuge darauf optimiert, die Temperatur präventiv und extrem präzise zu steuern.

Die dicken Kabel für Megawatt-Leistung werden von der Säule aktiv gekühlt. High-End-PKWs kühlen zusätzlich die Ladebuchse und die Hochvoltkomponenten im Fahrzeug selbst.

Vorkonditionierung

Moderne Fahrzeuge nutzen Navigationsdaten, um den Akku vor der Ankunft an einer Schnellladesäule auf die ideale Betriebstemperatur zu bringen. Dies maximiert die Ladeleistung von der ersten Sekunde an und minimiert die Zeit, die für das Hoch- oder Herunterkühlen der Zellen verloren geht.

Zusammenhang zur Ladekurve

Eine stabile Ladekurve ist der direkte Beweis für ein funktionierendes Thermomanagement. Die Ingenieurskunst besteht darin, die Leistung so hoch wie möglich zu halten, ohne die physikalische Schmerzgrenze der Zellen zu überschreiten. Wenn die Leistung nach 30 Sekunden massiv abfällt, ist das ein Indiz dafür, dass das Thermomanagement die anfangs freigesetzte Wärme nicht schnell genug abführen kann und das Batteriemanagement-System (BMS) zum Schutz der Zellen drosseln muss.

Zusammenfassend

Auch die „deutschen“ Autos (im Sinne von Taycan-Technologie) glänzen nicht durch den höchsten Peak, sondern durch die Ausdauer – eine direkte Folge der intelligenten Kombination von hoher Spannung (800V) und aktiver, präziser Temperaturkontrolle.

Das ist echtes Drehmoment und keine olle PS-Zahl

Man baut so ein Ding nicht, indem man eine große Zahl auf einem Messgerät erzeugt. Und schon gar nicht, indem man „Deutschland abgehängt!!“ ruft wie ein gelangweilter Kommentator.

Echte Zukunft durch Stimmigkeit

Megawatt-Laden für PKW ist kein Fortschritt. Es ist ein Spektakel.
Die Zukunft der E-Mobilität wird nicht in 5-Minuten-Clips entschieden, sondern an Netzanschlüssen, auf Parkplätzen, bei verlässlicher Technik und kluger Integration.

Die Branche gewinnt nicht durch „1.00 Megawatt!!“, sondern dadurch, dass Menschen sagen:

„Es funktioniert einfach.“

Hinterlasse einen Kommentar