Im Zuge meines Themenboykotts und kognitiven Entgiftung fiel mir wieder ein alter Song in die Hände – und ins Ohr.
2001 habe ich den mal mit allerhand Synthies und Cubase (böse Zungen sagen digitaler Leierkasten dazu…) gebastelt. Ein Song von vielen, aber dieser war mir immer sehr wichtig.
Er kommt sogar mit Text.
Und dieser Begleittext erinnerte mich wieder daran, dass man nicht zu viel aufräumen sollte. Nur abundzu mal nachschauen, ob alles in der geheimen Kammer noch da ist. Und in Betrieb nehmen, ob das Gesammelte noch funktioniert und nicht einrostet …
(Internet Archive, Flac und MP3)
Pixiedust
Eines Tages kramte der Leierkastenspieler auf seinem Dachboden um etwas Ordnung in das Chaos zu bringen das sich jahrelang angesammelt hat. Der alte Mann bemühte sich in die Unordnung Übersicht zu bekommen, konnte sich aber von den alten Gegenständen nicht so richtig trennen. Viele Spielsachen aus seiner Kinderzeit waren ihm ans Herz gewachsen.
Der Spieler erinnerte sich gerne daran, wie er als kleines Kind sich tagelang mit diesen Utensilien die Zeit vertrieb. Er baute eine kleine Eisenbahn auf, ließ sie im Kreis herumfahren und freute sich, dass sie noch funktionierte. In einem der unzähligen verstaubten Kartons fand er eine uralte Spieldose. Er überlegte, dass er so etwas als Kind nicht besessen haben konnte. Kurz entschlossen zog er die ziemlich verrostete und verstaubte Spieluhr mit dem Drehschlüssel auf der Rückseite auf. „Das ist aber ein primitiver Leierkasten“ dachte er dabei grinsend.
Der Leierkastenmann lauschte der Melodie, die er glaubte nicht zu kennen und wurde dabei seltsam ruhig, hatte nun keine Hast mehr den Speicherboden aufzuräumen. Die Melodie. die ihm immer vertrauter wurde, meinte er doch schon gehört zu haben. Er blies mit dem Mund den Staub von der alten Spieldose, hielt aber inne als er den ganzen Dachboden damit vernebelte. Der Spieler sah auf die Inschrift der Dose die das Baujahr angab. „Die ist ja so alt wie ich“ dachte er.
Langsam wurde ihm auch klar woher er die Melodie kannte. Seine Mutter spielte sie, als er noch ein kleines Kind war, zum Einschlafen immer vor. Dunkel erinnerte er sich jetzt. Der Spieler erinnerte sich an die Märchen die man ihm als Kind vorlas. Märchen mit Feen, Drachen, Kobolde, Prinzen und Hexen. Langsam malte er sich eine verwirrende Welt mit vielen Märchenfiguren aus. Böse Märchenfiguren hatte er eigentlich nie. Bei ihm war die Hexe aus Hänsel und Gretel eine Art geschwätzige Brotverkäuferin und die böse Königin aus Schneewittchen eine nach Parfüm riechende, alternde Avonvertreterin.
Er erinnerte sich wieder an die Bedeutung der Spielsachen, begriff warum er sie nie wegwerfen wollte. Jedes Spiel, jedes Auto, jedes Stofftier hatte eine eigene Gestalt in seinen Märchen. So hatte er als Kind eine ganze Welt in seinem Kinderzimmer erschaffen in der sein liebstes Spielzeug, die Spielkarten, eine große Rolle spielten. In seiner Fantasie waren es kleine Elfen die in der Luft umherschwirrten.
Der alte Mann packte jetzt einen staubigen Karton nach dem anderen aus und verteilte das alte Spielzeug im Dachboden. Die Eisenbahn, die Autos, die Spielkarten, die Teddys alles was er in die Finger bekommen konnte. Ziemlich schnell verlor der Spieler sich in der Fantasiewelt der Spielsachen und Märchen. Er sah eine Fee, was eigentlich ein Halstuch war, ein Prinz, der in Wirklichkeit nur ein alter Kinderhut war, die Eisenbahn war für ihn ein Drache, eine kleine Steinschleuder stellte für ihn ein Einhorn dar, die Hexe war eine alte Wurzel die er aus dem Wald mitgebracht hatte, Hänsel und Gretel war der zweiarmige Kerzenleuchter – alles dies dachte er sich als Kind aus.
Ihm fielen auch die vielen Geschichten ein die er sich für die Märchenfiguren ausgedacht hatte. Der Leierkastenmann fing an breit zu grinsen, weil er als Kind immer darauf bestand, dass das Halstuch nie bei der Eisenbahn liegen durfte, der Kerzenleuchter durfte niemals bei der Wurzel stehen, der Hut aber zur Steinschleuder gehörte. Feen und Drachen vertragen sich nicht, Prinzen suchten immer ein Einhorn, die Hexe wollte Hänsel und Gretel verspeisen – das wusste schließlich jedes Kind.
Der Spieler nahm die Spielkarten und warf sie in die Luft. Es blitzte in seinen Augen, als er die vermeintlichen Elfen fast geräuschlos durch den Dachboden fliegen sah. Überall wo sie hinschwirrten wurde es hell und zischelte es. Der Spieler befand sich in seinen Gedanken in einem Heer mit blinkenden Elfen die um seinen Kopf umherschwirrten. Er versuchte sie zu greifen, aber geschickt wichen sie seiner Hand immer wieder aus.
Als die vermeintlichen Elfen in der Luft wie Seifenblasen zerplatzten und die Musik der Spieldose zu Ende war, merkte der Leierkastenmann was er auf dem Dachboden angerichtet hatte. Überall wo er in mühseliger Arbeit aufgeräumt hatte, herrschte wieder das Chaos. „Was soll’s“ dachte er sich. „Lasse ich es halt so liegen. Hier kommt sowieso kaum jemand rauf“.
Er ging zur Bodentür hinunter und lies alles so stehen wie er es verteilt hatte, schloss die Türe ab und steckte lächelnd eine Spielkarte in seine Tasche …

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