Emotionale Präzision

Musik tröstet mich nicht, sie sortiert mich. Ein Text über Resonanz, Struktur und das Wiederfinden des eigenen Takts.

Wenn mir Weltlage, Politik, Machtlosigkeit und Alltag zum Halse raushängen, schreibe ich manchmal anders. Nach innen. Das habe ich bisher zu selten getan. Also gibt’s hier keinen Kommentar zur Welt und keinen Text über Systeme.

Eher ein Blick auf das, was mich trägt, wenn mir alles andere zu laut wird. Eine Beschreibung des Hörens, des Ordnens und des Findens von innerer Kohärenz durch Klang.

(M)Eine auditive Resonanzhilfe für innere Phasenverschiebungen.

Es gibt Menschen, die hören Musik, um etwas zu fühlen. Ich höre sie, um zu verstehen, was ich fühle und nicht einordnen kann.

Oft merke ich gar nicht, wie durcheinander ich innerlich bin, bis ein Ton, eine schwebende Fläche oder ein Akkord von einer meiner 10 Insel-Alben (dazu vielleicht später mehr…) mich wieder in mittige Phase bringt.

Dann spüre ich: Da war Unordnung.

Nicht draußen, sondern in mir.

Ich nenne das emotionale Präzision.

Das hat nichts mit Kälte zu tun. Schon gar nichts mit Kontrolle, es ist eher wie das leise Justieren mit einem Phasenkorrelationsmessgerät, wenn mein Stream durch zu viel Alltag fragmentiert. Die Musik meiner Insel-Alben ist das Resonanzfeld, in dem meine Phase wieder in der Mitte kommt und mein Signal damit geordnet wird.

Manche suchen vielleicht Trost in Melodien und es gibt sicher viele unterschiedliche Bezugsebenen, so wie es unterschiedliche Menschen gibt. Ich suche Kohärenz und möchte verstehen, warum mich etwas bewegt. Dabei will ich das Gefühl nicht loswerden, sondern einfädeln, an die richtige Stelle im Gefüge. Wenn Musik das schafft, dann nicht, weil sie mich beruhigt, sondern weil sie Ordnung herstellt.

Sie macht Chaos für mich lesbar.

Ich mag keine lauten Gefühle.

Ich mag leise Strukturen, die sich erst entfalten, wenn man hinhört. Ein Klang, der nicht schreit, sondern stimmt. Ein Akkord, der nicht löst, er muss balancieren.

Darum liebe ich seit nunmehr über einem halben Jahrhundert Pink Floyd. Besonders den leider verstorbenen Keyboarder Richard Wright. Er spielte nie vorn, aber er hielt die floydsche Welt im Gleichgewicht. Seine Töne, Klangskulpturen und Melodien waren keine Deko, sie waren das Gerüst, das alles trägt. Er war die Seele des Monsters …

Ich liebe auch elektronische Musik mit organischen Arpeggiatoren und Sequenzern wie bei Tangerine Dream auf Stratosfear. Ich mag es, wenn sich Stille, Struktur und Bewegung gegenseitig umkreisen. Wenn Wiederholung nicht starr wirkt, sondern atmet. Wenn sich aus Mustern Landschaften bilden und man spürt: das Mechanische lebt.

Ich mag sogar melodischen Techno. Nicht, um zu tanzen, sondern um in der Klarheit der Beats stillzustehen.

Vielleicht ist das der Punkt:

Struktur brauche ich nicht, um mich sicher zu fühlen, sondern um Bedeutung zu spüren. Wenn etwas logisch ineinandergreift, entsteht in mir Resonanz.

Ein sauber verlegtes Audiokabel, exakt ausgerichtete Schraubenköpfe in Fußleisten, ein präziser Text – selbst für den Einkauf, ein strukturiertes Dateiensystem – das ist kein bloßes Ordnungsthema.

Das ist ästhetische Stimmigkeit, die mich wärmt.

Das ist für mich Sinn in seiner sichtbarsten Form.

Wenn etwas zusammenpasst, entsteht ein leises Aufatmen. Nicht, weil ich Kontrolle suche, sondern weil ich in diesem Moment kurz glaube, die Welt versteht sich selbst.

Für den Bruchteil einer Sekunde hört das Rauschen auf und aus dem Rauschen wird meine Musik.

Viele Menschen erleben Sinn durch Beziehung, durch Nähe, durch das Wir. Ich verstehe das gut. Nur liegt meine Resonanz woanders. Ich erlebe Sinn durch Stimmigkeit. Wenn eine Harmonie aufgeht, ein System trägt, eine Melodie greift, dann ist das für mich wie ein Blick durchs Schlüsselloch ins Ganze.

Es ist keine Flucht in Rationalität, es ist nur die zärtlichste Form von Spiritualität, die ich kennengelernt habe: etwas funktioniert, weil es verstanden wurde.

Darum ziehen mich längere Stücke wie Saucerful of Secrets, Echoes oder Invisible Limits und 3 AM at the Border of the Marsh from Okefenokee so magisch an.

Sie sind Wanderungen durch das Ungeordnete. In der Unordnung finde ich meine verirrten Fragmente und transformiere sie in mich. Zu mir.

Bis am Ende diese flirrende Ruhe einkehrt, und ich weiß: Das Chaos war nötig, damit Ordnung wieder Bedeutung bekommt.

Ich glaube, das ist mein Lebensmuster.

Das Chaos kann ich aushalten, solange ich es irgendwann ordnen darf. Nicht damit es perfekt wird, sondern damit es wieder klingt. Für mich klingt.

Und vielleicht war es nie die Musik, die mich geordnet hat, sondern das, was sie in mir zum Klingen gebracht hat. Vielleicht hat sie mich nicht verändert, sondern nur daran erinnert, wie ich klinge, wenn alles stimmt.

Wenn das Streben das Phasenbild verzerrt

Manchmal beginnt das Streben nach „mehr“ unmerklich, die eigene Phase zu verschieben. Man jagt nach Höhe, nach Perfektion, nach dem Punkt, an dem alles glänzt – und bemerkt zu spät, dass das Signal längst aus der Mitte läuft.

Was früher schwang, interferiert nur noch mit sich selbst. Die Wellen löschen sich aus, die Ordnung wärmt nicht mehr.

Weil sie nicht mehr in Balance ist.

Wenn das passiert, zeigt das Messgerät immer noch Bewegung, aber keinen Zusammenhang mehr. Dann schwingt man nicht aus Überzeugung, sondern wird von einem fremden Takt getrieben.

Es geht gar nicht um mehr Glanz, es geht um Patina mit Tiefenschärfe. Und Patina mit Struktur braucht auch Brüche.

Dann atmet auch die Tiefe wieder.

Das Phasengerät zeigt dann wieder Mitte und der Stream fließt phasenkohärent im inneren Raum. Kein Übersprechen, kein Drift und kein Clipping.

Nur reine Resonanz. Mit einer Erinnerung daran, dass selbst im Gleichgewicht Bewegung wohnt.

Und in diesem Moment, wo es nur noch um die Mitte oszilliert, wird alles Musik …

… zu The Great Gig in the Sky.

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