Über die Idiotie eines Vorwurfs
Linksgrünversifft – dieses Wort klebt mittlerweile wie eine alte Schmiererei an der Toilettenwand.
Es stammt ursprünglich aus der Propagandakiste offen rechtsextremer und demokratiefeindlicher Milieus, die damit alles diffamieren wollen, was irgendwie nach Liberalität, Ökologie oder gesellschaftlicher Offenheit klingt.
Übernommen wird es mittlerweile gerne von Menschen, die nicht mehr in den Diskurs über politische Richtungen gehen möchten. Besonders, wenn sie ihre Meinungen und Vorurteile zementieren möchten, aber notwendiger Widerspruch auftaucht.
Schaut man jedoch genauer hin, beschreibt dieser Ausdruck im Kern nichts anderes als die Werte, welche auch in unserer freiheitlich-demokratischen Verfassung verankert sind.
Das Attribut „links“ verweist historisch auf soziale Verantwortung, Solidarität und den Schutz der Schwächeren. „Grün“ steht für das Bewusstsein, dass wir die natürlichen Lebensgrundlagen unserer und künftiger Generationen nicht zerstören dürfen.
„Liberal“ bedeutet, Freiheitsrechte ernst zu nehmen, individuelle Entfaltung zu schützen und staatliche Willkür zu begrenzen.
Zusammengenommen ergibt sich ein Bild, das den Grundrechten des Grundgesetzes nahezu entspricht: Die Würde des Menschen ist unantastbar, alle sind vor dem Gesetz gleich, Meinungs- und Pressefreiheit sind geschützt, der Staat ist dem Sozialstaatsprinzip verpflichtet.
Grundgesetz als linksextreme Kampfschrift?
Hier zeigt sich, wie leichtfertig autoritäre Kräfte Begriffe verdrehen: Aus dem klaren Satz „Alle sind vor dem Gesetz gleich“ wird in ihrem Mund „Alle sollen gleich sein“ – eine Karikatur, in Anlehnung an die DDR oder es wird sogar gleich mit Stalinismus und Gulag gewedelt – all das ist das Gegenteil dessen, was die Verfassung fordert.
Genau diese Prinzipien werden heute von extrem rechten Kreisen als „linksgrünversifft“ verhöhnt. Wer Klimaschutz fordert, beruft sich auf Verantwortung gegenüber kommenden Generationen – und gilt sofort als „grün“. Wer Diskriminierung kritisiert, knüpft an den Gleichheitsgrundsatz an – und wird als „woke“ verächtlich gemacht. Wer Freiheitsrechte verteidigt, bewegt sich mitten in der liberalen Demokratie – und wird als „Gutmenschen“-Problemfall markiert.
Das geht in manchen Szenarien sogar so weit, dass der altbekannte Universaljoker „Linksextremismus“ aus der Mottenkiste geprügelt wird.
Der Vorwurf richtet sich also nicht gegen irgendeine radikale Utopie, sondern gegen die demokratische Mitte selbst. Wer die Grundwerte dieser Mitte – Menschenwürde, Gleichheit, Freiheitsrechte – konsequent diffamiert, erklärt damit im Kern auch das Grundgesetz zum Gegner. Mit dieser bizarren Rhetorik erscheint unsere freiheitlich-liberale Verfassung wie eine linke Kampfschrift – nicht, weil sie je so bezeichnet worden wäre, sondern weil die Polemik genau diesen Schluss eigentlich direkt erzwingt.
Bei den derzeit üblichen Extremisierungen (legitimer) politischer Richtungen wird oft übersehen: Ein ernstzunehmender, demokratischer Konservatismus gehört selbstverständlich ebenfalls in diese Mitte. Er betont Maß und Ordnung, Verantwortungsbewusstsein, Verlässlichkeit und das Bewahren dessen, was sich über Generationen als tragfähig erwiesen hat. Gerade deshalb ist konservative Politik im rechten Spektrum für die Demokratie unverzichtbar – weil sie die notwendige Balance schafft, Veränderungen prüft und Traditionen kritisch einordnet, ohne die Grundrechte infrage zu stellen. Zwischen einer solchen konservativen Haltung und dem Angriff extrem rechter Agitatoren verläuft eine klare Grenze, die wir nicht verwischen dürfen.
Die Nachahmer aus der konservativen Ecke
Trotzdem erleben wir derzeit, dass einige Akteure aus dem konservativen Spektrum dieser rechtspopulistischen Logik folgen. Sie übernehmen Vokabular, verschieben bewusst die Grenzen des Sagbaren und verhelfen so Kampfbegriffen wie „linksgrünversifft“ zu weiterer Reichweite. Besonders deutlich zeigt sich das an den Diffamierungen von Nichtregierungsorganisationen (NGOs): Seenotrettung im Mittelmeer wird pauschal als „Schlepperhilfe“ denunziert, Klima-Initiativen werden in die Nähe von Extremismus gerückt, und Menschenrechtsorganisationen gelten plötzlich als „fremdgesteuert“. Was als taktischer Seitenhieb gedacht sein mag, normalisiert in Wahrheit eine Sprache, die die Verfassung selbst zum Gegner erklärt. Damit wird das konservative Erbe nicht gestärkt, sondern beschädigt – denn wer sich auf diese Rhetorik einlässt, spielt jenen Kräften in die Hände, die die Demokratie schwächen wollen.
Die Strategie der Diffamierung bleibt durchsichtig: Wenn das Fundament der Verfassung als „links“ gebrandmarkt wird, verschiebt sich das Koordinatensystem. Was selbstverständlich sein sollte, erscheint plötzlich als extrem. So wird der Boden bereitet, damit autoritäre Politik als vermeintlich „normal“ oder als „gesunder Menschenverstand“ daherkommt – während die Demokratie selbst zur Zielscheibe gemacht wird.
Die Ironie liegt auf der Hand: Was hier als „linksgrünversifft“ geschmäht wird, ist in Wahrheit die gelebte Demokratie. Wer dieses Schlagwort benutzt, erklärt im Grunde das Grundgesetz selbst zum Feind. Man könnte fast sagen: In dieser Logik ist Deutschland seit 1949 „linksgrünversifft“ – und genau das ist unser Glück.

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