Wo bleibt unser Geld?

Ein Blick hinter die populistischen Parolen

Wenn man es pointiert sagen wollte, müsste man es mit einem Reality-Show-Crossover beginnen:

Peter Zwegat steht schweißgebadet mit leergeschriebenen Filzstiften vor seinem Flipchart, auf dem lauter bunte Pfeile ins Leere zeigen. Er murmelt: „Ich weiß nicht, wie das alles zusammenpassen soll.“ Neben ihm Katharina Saalfrank – diesmal mit strengem Dutt –, die gerade versucht, neoliberale Dauerbrüller auf die Stille Treppe zu setzen, weil diese beim Wort „soziale Verantwortung“ immer wieder „Sozialismus! Weg damit!“ kreischen.

Während Saalfrank heulend auf der Treppe sitzt, zündet sich Zwegat drei Zigaretten hintereinander an, schaut in den Himmel und fragt sich, ob dieser Fall vielleicht einfach nicht zu retten ist

Als pragmatisches Dorfkind frage ich mich manchmal, ob wir “Deutschen“ im kollektiven Oberstübchen noch Licht anhaben.

Wir leben in einem der reichsten Länder der Welt und reden uns ein, wir könnten uns keine Menschlichkeit leisten. Wir sagen, es sei kein Geld da, und machen 2025 gleichzeitig exorbitant hohe Schulden, während Milliarden verpuffen, versickern, verstauben. Wir lieben Ordnung, aber tolerieren Chaos, solange es in Aktenordnern steckt. Für den Staatshaushalt reicht die Sortierung „Kram 1 bis Kram 3“ natürlich nicht, aber Millionen nicht verknüpfter Akten sind sicher auch nicht die Lösung.

Die große Erzählung vom Geld, das ins Ausland geht

„Unsere Rentner:innen müssen Flaschen sammeln, aber Millionen gehen ins Ausland!“

„Für Geflüchtete ist immer Geld da, aber unsere Kinder frieren in der Schule!“

„Entwicklungshilfe für korrupte Regime, das können wir uns nicht mehr leisten!“

(Zwegat ruft dazwischen: „Nein, Radwege in Peru stehen hier wirklich nicht in der Spalte Luxusausgaben”)

Solche Sätze begegnen einem regelmäßig in Kommentarspalten, Stammtischrunden und leider auch auf Wahlplakaten. Sie funktionieren, weil sie ein einfaches Bild zeichnen: Wir hier zahlen brav Steuern und die da draußen bekommen das Geld. Als wäre Politik ein Bankautomat für das Ausland, der sich weigert, den eigenen Bürger:innen etwas auszuzahlen.

Schaut man jedoch nüchtern hin, sieht das Bild anders aus. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit etwa umfasste 2023 rund 33 Milliarden Euro. Klingt nach einer riesigen Summe, doch ein erheblicher Teil dieses Geldes bleibt in Deutschland. Für Verwaltung, Projektkosten oder auch die Versorgung Geflüchteter hierzulande.

Ähnlich verhält es sich mit den EU-Beiträgen: Deutschland zahlte 2023 zwar rund 37 Milliarden Euro ein, bekam aber über Förderprogramme etwa 15 Milliarden zurück. Der tatsächliche Nettoanteil lag also bei ungefähr 22 Milliarden, ein Betrag, der durch die Vorteile des EU-Binnenmarktes weit überkompensiert wird.

Auch die militärische Unterstützung der Ukraine wird gerne als Geldverschenken dargestellt. Tatsächlich belief sie sich zwischen 2022 und 2024 auf etwa 17 Milliarden Euro – keine Almosen, sondern Ausdruck von Bündnispolitik und Sicherheitsinteressen.

Die Kosten für Geflüchtete lagen 2024 bei etwa 27 Milliarden Euro, doch auch hier floss ein Großteil in inländische Ausgaben wie Wohnraum, Personal und Infrastruktur. Hinzu kommen noch Zahlungen an internationale Organisationen wie die UN oder die WHO, insgesamt fünf bis sechs Milliarden Euro pro Jahr. Diese Summen dienen der globalen Stabilität und damit letztlich auch Deutschlands Sicherheit und Wohlstand.

Das Zwischenfazit fällt ernüchternd aus:

Die Debatte über “Geld ins Ausland“ wird fast ausschließlich emotional geführt, meist auf Basis verzerrter Zahlen oder Halbwahrheiten. Der Großteil dieser Ausgaben dient mittelbar auch deutschen Interessen, sei es durch wirtschaftliche Stabilität, geopolitische Absicherung oder Migrationsvermeidung.

Natürlich heißt das nicht, dass alle Mittel transparent oder effizient eingesetzt werden. Viele Projekte sind bürokratisch überfrachtet, politisch motiviert oder dienen mehr dem Ansehen der Geberländer als den Bedürfnissen der Empfänger. Intransparente NGO-Strukturen, verschachtelte UN-Programme oder bilaterale Deals mit fragwürdigen Regimen sind keine Seltenheit. Aber: Es sind eben nicht die vermeintlich “überversorgten Geflüchteten“ oder die “faulen Ausländer“, die unsere Staatsfinanzen ruinieren, sondern ganz andere Schattenposten.

Wo das Geld wirklich versickert – die teuren Schatten im System

Ein Blick auf das Steuerrecht zeigt: Kapitalerträge sind in Deutschland privilegiert. Dividenden, Zinsen und Aktiengewinne werden pauschal mit rund 26 Prozent besteuert, unabhängig vom Einkommen. Wer dagegen arbeitet, landet schnell bei über 40 Prozent Abgaben, zuzüglich Sozialversicherung.

Ein System also, in dem Kapital geschont wird, während Leistung stärker belastet ist. Reformen könnten hier Abhilfe schaffen: Eine Integration der Kapitalerträge in den regulären Einkommensteuertarif würde kleine Sparer:innen kaum treffen, wohl aber Großvermögen in die Verantwortung nehmen. Doch wo Besitz durch Schweigen besser geschützt ist als durch Argumente, bleibt die Reform aus.

Ähnlich sieht es bei Erbschaften aus. Jahr für Jahr werden in Deutschland über 100 Milliarden Euro vererbt oder verschenkt, doch beim Staat kommen weniger als zehn Prozent an. Freibeträge, Schlupflöcher für Betriebsvermögen und eine Politik, die die Vermögensvermehrung durch Arbeit stärker belastet als durch Erbschaft, sorgen dafür, dass Ungleichheit steuerlich abgesegnet weiterwächst. Wer eine Million verdient, zahlt Spitzensteuern, wer eine Million erbt, kommt mit etwas Geschick nahezu steuerfrei davon. Eine gerechte Reform wäre möglich – moderate Besteuerung großer Erbschaften, Schutz kleiner Nachlässe, Ende der Sonderwege für Großvermögen. Die Politik schweigt und lässt weiter vererben, als ginge sie das nichts an.

Auch in der Energiepolitik zeigt sich diese Schieflage. Während Bürger:innen über steigende Strompreise und Solarförderstopps debattieren, sichern sich Energiekonzerne milliardenschwere Garantien. Die neue Wirtschaftsministerin Katharina Reiche setzt aktuell auf den schnellen Ausbau von 20 Gigawatt Gaskraftwerken, vor allem im Süden. Damit verbunden sind staatliche Erlösgarantien in Höhe von 20 bis 50 Milliarden Euro jährlich. Parallel blockiert Bayern Windkraft mit Abstandsregeln, profitiert aber von Subventionen und Netzentgelderstattungen. Bürgerenergiegenossenschaften bleiben auf der Strecke. Das ist keine ehrliche Energiewende, das ist Umverteilung im Tarnanzug.

Nicht weniger kostspielig ist das Straßenverkehrswesen. Der Erhalt des Straßennetzes verschlingt allein schon zehn Milliarden Euro jährlich. Zählt man indirekte Kosten durch Umweltfolgen, Lärm, Flächenverbrauch, CO₂-Emissionen und Unfälle hinzu, ergibt sich laut Umweltbundesamt eine volkswirtschaftliche Belastung von über 150 Milliarden Euro im Jahr. Demgegenüber decken Kfz-Steuern und Abgaben nur einen Bruchteil. Trotzdem wird weiter in Straßen und Parkhäuser investiert, während der öffentliche Nahverkehr kaputtgespart wird. Busse fallen aus, Bahnhöfe verfallen, Takte werden ausgedünnt.

Auch der Wohnungsmarkt offenbart ein absurdes Muster: Statt klare Mietobergrenzen einzuführen, zahlt der Staat Wohngeld und Bürgergeld-Zuschüsse. Damit subventioniert er indirekt überzogene Renditeerwartungen, anstatt Mieter:innen konsequent zu schützen. Faire Vermieter:innen und skrupellose Renditejäger werden steuerlich gleichbehandelt. Und diejenigen, die ohnehin schon knapp kalkulieren müssen, finanzieren über ihre Abgaben ein System mit, das sie selbst kaum schützt.

Ähnlich grotesk ist die staatliche Aufstockung niedriger Löhne. Hunderttausende arbeiten, erhalten aber trotzdem Bürgergeld. Der Staat übernimmt Lohnanteile, die eigentlich Unternehmen zahlen müssten. Wer fair entlohnt, gerät dadurch im Wettbewerb ins Hintertreffen. Anstand wird bestraft, Ausbeutung subventioniert.

Saalfrank ruft, mit heiserer Stimme: „Wenn ich noch einmal ‘Markt regelt das‘ höre, gibt’s eine Auszeit im Dauerabo.“

Hinzu kommen gigantische Posten wie der Verteidigungsetat mit 52 Milliarden Euro jährlich, flankiert von einem Sondervermögen von 100 Milliarden. Milliarden fließen in Fehlkäufe, Berateraffären und Ineffizienzen. Subventionen verschlingen 67 Milliarden Euro, Steuervergünstigungen rund 190 Milliarden – viele davon klimaschädlich. Steuerhinterziehung und -vermeidung entziehen dem Staat jährlich bis zu 100 Milliarden Euro. Verwaltung, Bürokratie und IT-Desaster kosten Milliarden. Das Projekt ELENA allein verschlang 400 Millionen, bevor es eingestampft wurde.

Im Gesundheitswesen werden inzwischen mehr als 520 Milliarden Euro pro Jahr ausgegeben. Eine gigantische Summe, die jedoch höchst ungleich verteilt ist. Während Pflegekräfte nach wie vor am unteren Ende der Gehaltsskala rangieren, fließen Milliarden in Medikamente, Geräteparks und Strukturen, die oft eher der Industrie als den Patient:innen dienen.

Krebsmedikamente schlagen mit bis zu 300.000 Euro pro Jahr und Patient:in zu Buche, Orphan Drugs für seltene Erkrankungen erreichen teils 500.000. Viele dieser Präparate sind medizinisch sinnvoll und haben das Leben von Patient:innen deutlich verbessert. Das Problem liegt nicht im Nutzen an sich, sondern im Preismodell: Hersteller dürfen im ersten Jahr den Preis frei festlegen – egal ob der Überlebensvorteil dramatisch oder nur wenige Wochen beträgt. Deutschland zahlt dadurch regelmäßig mehr als Nachbarländer in der EU, ohne dass Patient:innen automatisch besser versorgt wären.

Doch nicht nur die Hochglanzmedizin treibt die Kosten. Selbst banale Alltagsgegenstände sind überteuert. Ein einfacher Infusionsständer, der in der Herstellung nur wenige Dutzend Euro kostet, wird im Krankenhaus mit mehreren Hundert Euro angesetzt. Ein Standard-Krankenhausbett schlägt mit Tausenden zu Buche. MRT-Geräte, die längst Serienprodukte sind, werden wie Luxusgüter bepreist. Wartungsverträge mit den Herstellern verschlingen jedes Jahr Millionen, oft mit Klauseln, die es Krankenhäusern verbieten, günstigere Ersatzteile oder unabhängige Servicetechniker einzusetzen. Was in anderen Branchen längst Standard wäre – freie Werkstätten, Wettbewerb, modulare Ersatzteile – bleibt hier blockiert.

Dazu kommt eine Praxis, die mehr auf Stückzahl als auf Bedarf setzt. Packungsgrößen passen nicht zur Therapiedauer, Medikamente landen massenhaft im Müll. Ärzte verschreiben lieber auf Vorrat, weil die Abrechnungssysteme es so vorsehen. Rabattverträge zwischen Krankenkassen und Pharma bleiben intransparent. Geräteparks werden angeschafft, obwohl die Auslastung gering ist – denn für jede Untersuchung gibt es Fallpauschalen, egal ob sie medizinisch nötig war oder nicht.

Das Ergebnis ist ein System, das lieber auf Vorrat verschreibt und überdimensioniert, als gezielt und effizient einzusetzen. Ein System, das Milliarden in Technik pumpt, während an der Bettkante Personal fehlt oder praxistaugliche Therapien für Patient:innen gestrichen werden.

Und selbst dort, wo es nach “historischer Tradition“ klingt, verschwinden Gelder: Allein die Staatsleistungen an die Kirchen schlagen mit rund 500 Millionen jährlich zu Buche, dazu kommt die steuerliche Absetzbarkeit der Kirchensteuer. Insgesamt entgehen dem Fiskus so bis zu 4,5 Milliarden Euro pro Jahr, ohne dass diese Mittel Armut lindern oder Bedürftige unterstützen.

Rechnet man die verschiedenen Ineffizienzen zusammen, schätzt der Bund der Steuerzahler die jährliche Steuerverschwendung auf mindestens 30 Milliarden Euro, andere Expert:innen sprechen von bis zu 50 Milliarden. Das sind fünf bis zehn Prozent des gesamten Steueraufkommens, verschwunden im Nebel von Fehlplanungen, politischer Eitelkeit und fehlender Kontrolle.

Was wäre, wenn wir es richtig machten?

Eindämmung von Steuervermeidung könnte jährlich 100 Milliarden bringen. Der Abbau klimaschädlicher Subventionen und unsinniger Steuervergünstigungen weitere 30 bis 50 Milliarden. Ein effizienteres Gesundheitswesen würde 20 bis 30 Milliarden freisetzen, Digitalisierung und Bürokratieabbau 10 bis 20 Milliarden. Rechnet man vorsichtig, liegt das Potenzial bei 150 bis 200 Milliarden Euro jährlich.

Die politische Ökonomie der Bequemlichkeit

Doch statt diese Fragen anzupacken, lenkt die Politik ab. Reformer scheitern an Machtverhältnissen, Symbolpolitik ersetzt Systemfragen. Medien loggen Empörung, nicht Aufklärung. Bürger:innen werden zu Zuschauer:innen oder Mitläufer:innen. Am tragischsten ist, dass der “kleine Mann“ meist nach unten tritt, statt nach oben zu fragen. Denn er hat gelernt: „Die da unten sind schuld.“

Dabei knarzt längst der Ast, auf dem er selbst sitzt.

Vernunft wagen – ein neuer Kurs für Deutschland

„Wir haben ein Ausgabeproblem“, sagt die Politik. Doch das stimmt nur zur Hälfte. Was wir wirklich haben, ist ein Einnahmeproblem bei den Starken und ein Ausgabeproblem bei den Strukturen. Wir besteuern Einkommen hart, aber Vermögen weich. Wir kürzen bei Bedürftigen, aber nicht bei Systemversagen. Wir reden über Bürgergeld, aber schweigen über Steuerschlupflöcher. Wir optimieren Förderanträge, aber nicht den Zweck dahinter.

Das Problem ist nicht zu viel Staat, sondern zu wenig Durchblick. Nicht zu hohe Ausgaben, sondern falsche Prioritäten.

Was wäre, wenn … eine Schlussrechnung

Man könnte Schulen sanieren, Pflege aufwerten, die Energiewende finanzieren, Renten sichern oder erhöhen, Wohnraum schaffen oder Schulden senken. Gesellschaftlich sinnvolle Dinge tun – für Bürger. Die Zahlen sind da, wenn man nur hinschaut.

Und wir? Wir wählen, wir zahlen, wir posten. Aber nehmen wir auch Verantwortung? Politik beginnt nicht im Parlament, sondern im Kopf.

Epilog

Die Aufzählungen hier sind nur ein Ausschnitt und es gäbe noch mehr zu nennen. Und klar, es ist für Politik nicht immer einfach gute Entscheidungen zu treffen. Und nicht immer ist das, was böse aussieht in böser Absicht entstanden.

Es ist auch schwierig verlässliche Zahlen zu eruieren, aber schon dieser Überblick zeigt, wie falsch unsere Aufmerksamkeit ist. Wir jammern über Nebenschauplätze und lassen uns von belanglosen Empörungsthemen ablenken. Dabei wären die echten Fragen längst beantwortbar, wenn wir den Mut hätten, sie zu stellen.

Vielleicht reicht schon, den Flipchart neu zu beschriften, bevor Zwegat endgültig das Licht ausmacht.

Nachtrag: Gleich nach Veröffentlichung meines Textes ist es (wieder mal) Markus Söder, der mit seiner Agenda alles bestätigt, was schief läuft. Auch Merz spiegelt mit „Wir können uns den Sozialstaat so nicht mehr leisten“ die destruktive Bürgerpolitik der vergangene Jahrzehnte.

Weiter so

Eine Antwort zu „Wo bleibt unser Geld?”.

  1. Faustformel: Geld ist nie weg, sondern nur woanders. Spart der Staat, muss er begründen, wem er Geld vorenthält. Bin ein grosser Fan des YT-Kanals „Geld für die Welt“ von Maurice Höffgen, der mit Regelmäßigkeit das Geschwätz von Merz, Söder u. Co. zerlegt.

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