Der saubere Brandstifter

J.D. Vance und das trojanische Projekt der neuen Rechten

Was bleibt eigentlich vom 50. Vizepräsidenten der USA, J.D. Vance, übrig, wenn man Trump abzieht?

Wahrscheinlich nicht viel mehr als ein ehrgeiziger Aufsteiger mit einem Bestseller im Gepäck, einer tragischen Herkunftsgeschichte und einer sehr klaren Vorstellung davon, wie man Macht bekommt, wenn man Charisma hat, ohne aufzufallen.

Vance wirkt wie das Gegenteil von Trump:

kontrolliert, kultiviert, vernünftig.

Hinter der glatt gebügelten Fassade verbirgt sich etwas, das viel größer und gefährlicher ist als persönlicher Opportunismus. Er ist das trojanische Pferd eines neuen autoritären Narrativs. Mit Steve Bannon im Ohr, Peter Thiel* im Rücken und Donald Trump als Türöffner zur amerikanischen Wiedergeburt.

(*Thiel, mit engen Verbindungen in die deutsche Medienlandschaft ist das vernünftig-strukturierte Gegenteil von Musk und deshalb der perfekte Partner für Vance)

Vance ist die Blaupause für eine neue Rechte. Eine, die weniger schreit, aber besser rechnet. Die anständiger aussieht, aber mit den gleichen Dämonen spielt und der Joker, der auf dem Spielfeld erscheint, wenn Trump längst vom Platz gegangen ist.

Der Mythos Vance – Hillbilly mit Harvard-Abschluss

J.D. Vance wurde 1984 als James Donald Bowman geboren und wuchs in ärmlichen Verhältnissen in Middletown, Ohio, auf. Speziell der Ort, der so sinnbildlich für den Niedergang der amerikanischen Arbeiterklasse steht, dass er auch aus einem Bruce-Springsteen-Song stammen könnte. Seine Mutter kämpfte mit Drogenabhängigkeit, sein Vater war früh weg und die Großeltern rauften sich durch ein Leben zwischen Gewalt, Stolz und Zähigkeit.

Vance schaffte, was viele nicht einmal zu träumen wagten: Er diente beim Militär, studierte an der Eliteuniversität Yale Jura, arbeitete später in Investmentfirmen und schrieb dann 2016 den Bestseller, der ihn über Nacht zum medialen Wunderkind machte: “Hillbilly Elegy“.

Ein autobiografisches Porträt über Armut, Aufstieg, Wut und das, was er “die kulturelle Krise der weißen Arbeiterklasse“ nannte. Das Buch wurde gefeiert, von Konservativen als Beleg für Eigenverantwortung, von Liberalen als Brücke zu einer vergessenen Welt. Es war zudem politisch anschlussfähig für alle, die mit Trump nichts anfangen konnten, aber mit seiner Wählerschaft irgendwie ins Gespräch kommen wollten.

Vance wurde zum gefragten Kommentator, zum Authentizitätsverleiher in Talkshows und zum intellektuellen Dolmetscher für den Trump-Wähler, ohne selbst einer zu sein. Er war das nützliche Gewissen, das gleichzeitig Elend und Hoffnung verkörperte. Jemand, der es rausgeschafft hatte und trotzdem nicht vergessen hatte, woher er kam.

The American Dream

Genau da liegt aber schon die erste Falle!

Was Vance später mit diesem Mythos anstellt, hat wenig mit seiner Herkunft zu tun und alles mit Ambition.

Vom Kritiker zum Fanboy – die Wendung zum Trumpismus

Als “Hillbilly Elegy“ erschien, war J.D. Vance noch einer der wenigen republikanischen Stimmen, die offen Kritik an Donald Trump äußerten. In Interviews und Tweets nannte er ihn “noxious“, also giftig, und verglich ihn sinngemäß mit dem möglichen Ende der amerikanischen Demokratie. Trump sei ein Symptom, nicht die Lösung. Vance stand für eine Art intellektuellen Konservatismus mit moralischem Anspruch.

Diese Phase war allerdings schnell vorbei. Spätestens ab 2020, als sich das politische Klima in den USA weiter polarisierte und Trump zur Totalfigur der republikanischen Partei wurde, vollzog Vance eine bemerkenswerte Kehrtwende.

Er löschte alte Trump-kritische Tweets, relativierte frühere Aussagen und erklärte öffentlich, er habe sich halt geirrt. Der einstige Kritiker wurde zum loyalen Verbündeten. 2022 kandidierte Vance für den US-Senat in Ohio, mit massiver Unterstützung durch Trump. Die Wahlkampfsprache war hart, die Gegner wurden (wie üblich) diffamiert, und Vance übernahm Trumps Sprachduktus fast lehrbuchhaft.

Warum dieser Schwenk? Die Antwort ist ebenso banal wie beunruhigend:

Macht.

Vance hatte erkannt, dass innerhalb der Republikanischen Partei nur noch eine Strategie funktioniert: totale Loyalität zu Trump. Und er lieferte. Nicht aus Überzeugung, sondern aus Kalkül.

Vance ist kein Ideologe im klassischen Sinn, er ist ein Stratege. In diesem Sinne verkörpert er die nächste Evolutionsstufe des Trumpismus: Nicht mehr der lärmende Zerstörer, sondern der kalkulierte Vollstrecker. Nicht mehr das Chaos über Twitter, sondern die langfristige Zementierung von Einfluss, mit Harvard-Diplom und Bibel in der Hand.

Er ist der Beweis, dass man nicht laut sein muss, um Demokratie zu demontieren. Es reicht, wenn man weiß, wie das Spiel funktioniert und zudem bereit ist, jede Maske zu tragen, die einem Zugang verschafft.

Die Kehrtwende blieb freilich nicht unbemerkt. Während Trump ihn lobte, schüttelten einstige Bewunderer den Kopf. Der Atlantic sprach von “Selbstverleugnung“, Ezra Klein von intellektuellem Verrat. Wer Vance’ Buch mit Hoffnung las, beobachtete seine Kampagne mit wachsender Fassungslosigkeit. Der intellektuelle Brückenbauer war verschwunden und übrig blieb ein Kandidat, der Wut nicht mehr erklärte, sondern selbst zur Waffe machte.

Der Bruch war vielleicht nicht nur Kalkül.

Es könnte sein, dass Vance tatsächlich geglaubt hat, was er 2016 schrieb. Dass er versuchte, das politische Amerika zu verstehen, bevor er verstand, dass sich Amerika nicht mehr verstehen will. Dass er mit Analyse begann, mit Aufklärung, mit Selbstbefragung. Je mehr das System jedoch in den Reflexmodus wechselte, desto weniger war Platz für Zwischentöne. Was blieb, war die Wahl:

Bedeutung oder Bedeutungslosigkeit?

Vance entschied sich für die Bedeutung. Und opferte dafür die Zwischentöne.

Vielleicht macht ihn genau das so gefährlich: Nicht die Lüge, sondern der enttäuschte Glaube. Nicht der Zynismus, sondern die Entschlossenheit, sich nicht noch einmal zum Narren machen zu lassen.

Der gefährlich kultivierte Autoritäre

Aktuell steht J.D. Vance für eine Agenda, die im Kern radikaler ist als vieles, was Trump je formuliert hat, nur eben verkleidet als konservative Vernunft. Er spricht von “nationaler Erneuerung“, fordert einen drastischen Umbau der Verwaltungsapparate, will progressive Bildungseinrichtungen beschneiden und stellt das internationale Engagement der USA in Frage.

Konkret fordert Vance, sämtliche mittlere Verwaltungsebenen (“mid-level bureaucrats“) durch eigene Leute zu ersetzen. Mit dem Ziel, die sogenannte “administrative state“ zu entkernen. Universitäten, die Inhalte wie Gender Studies oder Critical Race Theory lehren, sollen laut Vance keine staatlichen Mittel mehr erhalten. Und in Bezug auf den Ukrainekrieg erklärte er wörtlich: „I don’t really care what happens to Ukraine one way or another.”

Dabei ist es nicht der Inhalt allein, der Vance so gefährlich macht. Es ist die Verpackung. Er lächelt, wo andere schreien. Er argumentiert, wo andere hetzen. Und er sagt Sätze wie: „Wir brauchen eine konservative Revolution der Institutionen“. Was nett klingt, aber im Kern auf eine autoritäre Machtergreifung durch das politische Hintertürchen hinausläuft.

Seine engen Verbindungen zu Peter Thiel, dem Silicon-Valley-Investor mit anti-demokratischen Affinitäten, und Steve Bannon, dem Architekten des rechten Kulturkampfes, sind kein Zufall. Sie sind Teil eines Projekts: Das republikanische Establishment von innen heraus zu übernehmen, zu disziplinieren, und auf eine postliberale Zukunft einzuschwören. Eine Zukunft, in der Macht nicht mehr durch Ausgleich, sondern durch Dominanz organisiert wird.

Vance ist das freundliche Gesicht dieses Plans. Und gerade deshalb sollten alle Alarmglocken schrillen. Denn während Trump das System frontal angreift, will Vance es mit System umbauen. Während Trump Chaos produziert, setzt Vance auf Strategie. Während Trump polarisiert, kalkuliert Vance den Konsens der Resignierten.

Man kann es so sagen: Trump ist die Abrissbirne und Vance der Architekt.

Warum das verfängt und warum es so gefährlich ist

Die politische Verführungskraft von J.D. Vance liegt gerade in seiner Ambivalenz: Er spricht die Sprache des Aufstiegs, aber meint den Abstieg der liberalen Ordnung. Er gibt sich als Modernisierer, will aber in Wahrheit restaurieren. Er verkörpert eigentlich das, was viele verunsicherte Menschen gerade suchen: Autorität ohne Gebrüll, Ordnung ohne Chaos und Einfachheit ohne Reflexion.

Solche Figuren gedeihen in einem Klima der Überforderung. Wenn die Welt zu komplex wird, wenn die Institutionen versagen, wenn die Medien nur noch Misstrauen auslösen, dann tritt jemand wie Vance auf den Plan. Er wirkt wie jemand, der die alten Werte kennt, die neue Welt versteht und das Beste aus beidem verspricht. Das macht ihn so attraktiv.

Vance bietet keinen Aufbruch, sondern eine Erleichterung: die Entlastung vom Zweifel. Er formuliert eine Welt, in der man nicht mehr alles verstehen muss, sondern nur noch glauben. Eine Welt, in der die Feindbilder feststehen, die Rollen verteilt sind und die Konflikte klar benannt werden. Kein Ringen um Wahrheit, sondern das Versprechen von Klarheit.

Das macht ihn anschlussfähig. Für Evangelikale. Für Nationalkonservative. Für enttäuschte Liberale, die sich nach Halt sehnen. Und für all jene, die nicht nach Demokratie fragen, sondern nach Sieg.

Die größte Gefahr liegt wohl darin, dass Vance nicht als Bedrohung erkannt wird. Weil er nicht tobt, nicht krächzt, nicht stürmt. Weil er zu intelligent ist, um sich zu entlarven. Und weil er weiß, dass viele Menschen keine Demokratie wollen, sondern Bestätigung. Keine Diskussion, sondern Richtung. Keine Freiheit, sondern Ruhe.

Der stille Sturm

Seine Geschichte zeigt, wie leicht sich Herkunft in Haltung verwandeln lässt, wenn Macht winkt. Und wie schnell eine Demokratie Figuren belohnt, die versprechen, sie zu “reparieren“, während sie sie heimlich umbauen.

Vance steht nicht nur für eine Radikalisierung von rechts. Er steht für die Ästhetik des Autoritären im Gewand des Seriösen. Er zeigt, wie effizient sich Destruktion in Redegewand verpacken lässt, wie strategisch man an alten Sehnsüchten anknüpfen kann, ohne den Anschein von Vernunft zu verlieren.

Aushöhlen unter Applaus

In Europa wird er oft noch als Randfigur wahrgenommen. Wenn man sich jedoch die Mühe macht, genauer hinzuschauen, erkennt man seine Agenda.

Bereits auf der 61. Münchner Sicherheitskonferenz demonstrierte Vance, wie die neue Rechte funktioniert.

Mit dem Brustton der Empörung behauptete er, in Deutschland sei die Meinungsfreiheit eingeschränkt. Als säße er nicht auf einem Podium, das genau solche Aussagen zulässt.
Was wie Unwissen klingt, ist in Wahrheit Kalkül: Wer Freiheit zur Farce erklärt, öffnet die Tür für autoritäre Antworten.

Solche rechtsdrehenden Türen bleiben auch nicht lange unbenutzt. Kaum ist ein politischer Raum dafür geöffnet, findet sich auch das passende Material, um ihn auszubauen. Ein aktueller Vorfall zeigt, wie mühelos und dauerhaft sich dieses Muster füttern lässt …

Berechtigte Kritik, gezielt vergiftet

Das US-Außenministerium attestierte Deutschland jüngst „erhebliche Menschenrechtsprobleme“. Der kürzlich veröffentlichte Jahresbericht des US-Außenministeriums 2025 nennt durchaus reale Punkte, wie Datenschutzlücken, Polizeigewalt und Diskriminierung. Das US-Ministerium setzt sie jedoch in eine Liste, in der sonst autoritäre Staaten stehen.

Es ist bezeichnend, wie dieser Bericht politisiert bzw aufgeladen wird, bis er in die Agenda passt.

(Es ist auch bezeichnend, wie unter der Biden-Administration dieser Bericht in die andere Richtung gedehnt wurde und man mit der Frage zurückbleibt, was das alles eigentlich soll …)

Für Vance ist das natürlich ein gefundenes Fressen. Er muss nur den Kontext kappen, die Passage über „eingeschränkte Meinungsfreiheit“ (die in Wahrheit vor allem auf Debatten über Hate Speech, Plattformregulierung und strafbare Hetze zielt) geistig fett drucken und schon steht Deutschland als Paradebeispiel westlicher Heuchelei im Raum. Die unbequemen Körner, die sich auch gegen autoritäre Systeme richten würden – wie Polizeigewalt, Mängel beim Datenschutz, Überwachung – sortiert er einfach aus.

Aus berechtigter Kritik wird so politisches Gift: ein destilliertes Narrativ, das Demokratieabbau als Reinigung verkauft.

Und genau das findet bei uns dankbare Abnehmer.

Das trojanische Pferd ist kein exklusiv amerikanisches Phänomen. Es hat bereits seine Ableger: in Frankreich, in Italien, in Ungarn und bei uns in Deutschland. Es wirkt immer gleich: kultiviert, familiär, rational. Bis man merkt, dass das Theater längst brennt.

Der nächste Sturm kommt nicht mit dem Schrei, sondern mit einem Lächeln.
Wahrscheinlich schaut die Mehrheit auch noch wohlwollend zu …

… bis sich unser Grundgesetz im letzten Akt unter tosendem Beifall der Autoritären und den Tränen der letzten Demokraten endgültig von der Bühne für immer verabschiedet.

Vorhang auf für den nächsten Akt

Vance als Brandbeschleuniger

Sein Auftritt als kultivierter Autoritärer macht die Bühne frei für ein Schauspiel, das auch in Europa längst geprobt wird.

Wenn er 2029 im Weißen Haus sitzt, liefert er der AfD die perfekte Vorlage: „Seht her, in den USA regiert das Modell schon – wir sind kein Risiko, wir sind der Anschluss.“ Ausgerechnet das Lächeln des Autoritären wird so zur Einladung, ihm auch hierzulande die Türen zu öffnen.

2029 – Schwarze-Blaue Koalition

Vance gibt der Rechten in Europa, was sie bisher nur leihen konnte: Legitimation im Maßanzug. Und er beschleunigt den Takt, nach dem in Frankreich, Italien, Ungarn und Deutschland längst getanzt wird.

2033 – Blau-Schwarze Koalition (oder einfache AfD-Mehrheit)

Hundert Jahre nach der dunkelsten Stunde deutscher Geschichte, könnte dann der letzte Vorhang fallen. Dieser Zynismus wird dann auch gewollt sein.

Es gibt aber vielleicht irgendwann Hoffnung auf ein Remake.

James Bond lebt ja schließlich auch ewig

Nach der Dystopie – der Riss im Machtblock

Autoritäre Systeme sterben oft an sich selbst. Sie verlangen bedingungslose Loyalität und beginnen zu bröckeln, sobald mehrere Figuren glauben, die wahre Krone zu tragen.

Sollte J.D. Vance tatsächlich die Macht in Händen halten, stünden hinter ihm die zwei Architekten mit unterschiedlichen Bauplänen:

Peter Thiel, der techno-libertäre Stratege, der den Staat leise und präzise entkernt, um ihn nach seinem Bild neu zu errichten.

Steve Bannon, der Kulturkrieger, der jede Woche ein neues Feuer entzündet, um die Massen im Glutlicht zu halten.

Am Anfang könnten sie sich ergänzen: Thiel liefert die Statik, Bannon die Pyrotechnik. Aber sobald der autoritäre Bau steht, kollidieren ihre Naturgesetze:
Thiel will Ruhe, Bannon will Dauerkrieg. Thiel denkt in Jahrzehnten, Bannon in Schlagzeilen.

Vance müsste sich entscheiden, wem er folgt und genau darin liegt der Riss. Er könnte versuchen, beide zu bedienen, bis einer von ihnen den anderen stürzt.

Und während hinter den Fassaden der Macht die Fundamente reißen, könnte draußen etwas wachsen, das längst für tot erklärt wurde: der neue Widerstand.

Es wäre kein schöner Weg zurück zur Freiheit. Eher das implodierende Ende einer Herrschaft, die glaubte, ewig zu sein und an ihrem eigenen Machtdurst verdurstete.

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