Wie wir Menschen verlieren, obwohl wir sie zurückholen wollen. Und wie es vielleicht funktionieren könnte.
Dieser Text ist kein Aufruf zur Nachsicht gegenüber Rechtsextremismus, sondern ein Plädoyer dafür, Menschen nicht vorschnell aufzugeben, bevor sie vollständig in ideologischen Abgründen verdunsten.
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Ich schreibe aus der Perspektive eines Menschen, der Haltung wichtig findet, aber Beziehung nicht verlieren will. Ich glaube, dass echte Menschlichkeit nicht nur in der Abgrenzung lebt, sondern auch in der Bereitschaft, schwierige Gespräche zu führen. Mein Text richtet sich daher an alle, die spüren:
Die richtigen Positionen allein reichen nicht, wenn niemand mehr zuhört.
Der Text wurde inspiriert durch einen gescheiterten Dialog. Keine Auseinandersetzung und kein Streit. Es war ein echtes Nachfragen: Wie gehen wir mit Menschen um, die ihre Empathie verlieren. Nicht aus Bosheit, sondern aus Überforderung, Angst oder Zynismus?
Doch zuerst schauen wir uns dazu die rechte Wand an, weil sie so einfach und klar scheint. Später stehen wir auch vor der linken Wand aus Granit, weil sie auch so schön hart sein kann.
Die rechte Wand aus Zynit
(Was ist Zynit? Das kristalline Gift)
Wer mit Menschen spricht, die nach rechtsaußen (nicht rechts…) abgedriftet sind oder auch nur irgendwo in der Mitte stehen und rechtsextreme Narrative übernommen haben, hört oft keine politischen Argumente zuerst. Vor dem Super-GAU, in dem diese Menschen dann meist in den üblichen rechtsradikalen Narrativen implodieren, hört man z.B. oft:
„Ich durfte nichts mehr sagen.“, „Ich wurde sofort als Nazi abgestempelt“, „Es hat ja eh keiner mehr zugehört“.
Alles sattsam bekannte Statements. Ob die immer stimmen? Nein. Aber das Gefühl ist real und daran kann man vielleicht ansetzen. Die rechtsextremen Narrative und die dauerhaften Emotionalisierungen wirken und das treibt Menschen in die Arme von Ideologien, die versprechen: „Wir hören dir zu.“ Auch wenn das Zuhören dort nur Tarnung für Manipulation ist.
Der erste Schritt in die Radikalisierung ist oft nicht Hass. Es ist Dialogverlust, Resonanzlosigkeit, Einsamkeit. Garniert mit Neurotizismus und mit Sorgen oder untragbaren Zuständen alleine zu sein.
Manchmal finden Menschen keine wohlmeinenden Worte, weil niemand hinschauen will, weil niemand ihre Lebensrealität wahrnehmen möchte oder weil vielleicht vorher die Worte falsch gewählt wurden und der Ton nicht stimmte.
Und ja, die mantramäßigen Wiederholungen der rechtsverrohten Narrative nerven meist nur noch. Aber genau diese Wiederholungen machen auch manchmal die Überforderungen sichtbar, denn es fehlt oftmals ein besserer Kanal, der das Gefühl oder Unbehagen senden könnte.
Trotzdem hat man manchmal das Gefühl, vor einer ultraharten und undurchdringlichen Barriere zu stehen, wo versuchte Dialoge einfach nur zersplittern und die Menschen dahinter immer mehr verschwinden. Aufgelöst in Zynit.
Ein persönlicher Riss
Es ging im erwähnten Dialog um Menschlichkeit und um Rechtsextremismus. Das Ausgangsstatement war sehr eindeutig:
„Ich lasse keine Überschreitungen meiner Grenzen mehr zu. Wer rechtsradikale Narrative verwendet und versendet, muss gehen. Ausnahmslos. Ich möchte meine Energie nicht verschwenden. Ich will Klarheit.“
Ich fragte vorsichtig zurück:
„Was ist, wenn es Menschen in deinem Umfeld betrifft? Verwandte, langjährige Bekannte, enge Freunde oder Familie? Willst du sie zugunsten vermeintlicher Klarheit verlieren? Könnte es nicht sein, dass sie schlicht nach Orientierung suchen, inmitten emotionaler Überforderung und Dauerkrisen? Sollte man sie wirklich kampflos den Rechtspopulisten überlassen?“
Die Antwort kam prompt:
„Dann tut’s mir für sie leid. Ich opfere mich nicht für ihre bewussten Entscheidungen. Sie können selbst denken. Meine Grenzen sind klar.“
Der Dialog, hier gekürzt und sinngemäß wiedergegeben, wurde begleitet von vertrauten Standards: Haltung, Prinzipien, Abgrenzung und jede Menge „Ich“.
Alles sauber aufgelistet und alles eindeutig. Eine moralisch saubere Position, die zwangsläufig richtig sein muss, weil sie auf der “richtigen Seite“ steht. Textlich meist durchgeorgelt von einer KI, auch erkennbar, weil nie authentische Zweifel sichtbar wurden. Trotz der vielen „Ich“ nichts persönliches, irgendwie nicht durchlebt.
Genau das erinnerte mich, in Ablauf, Ton und Struktur, an Diskussionen mit Menschen, die längst festgelegt sind. Die in wenigen Sätzen sämtliche rechtsverdrehten Ressentiments unterbringen. Deren Profile den stillen Beweis einer schleichenden, manchmal längst vollzogenen Radikalisierung liefern. Die nicht mehr sie selbst sind. Die sich im Spinnennetz einer klebrigen Ideologie verfangen haben.
Und das Irritierende für mich: Gerade diese klare Antwort bekam viel Zustimmung. Nicht weil sie falsch war, sondern weil sie für Likende – in der gemeinsamen Blase – in sich stimmig war. Weil sie eine einfache Lösung beschrieb, die durch Klarheit besticht. Damit auch befreiend von der Last harter Gespräche machte. Gespräche die müde machen und manchmal würdelos sind.
Die Position lässt aber auch keine Beziehung mehr zu. Kein Differenzieren. Kein Fragen. Kein Bleiben.
Ich wollte eigentlich auch auf das hier und hier beschriebene Dilemma hinaus. Was tun oder wie umgehen mit Menschen, die sich radikalisieren, schon radikalisiert sind oder mit rechtsdrehende Statements um sich werfen, aber zum nahen Umfeld gehören?
Ich finde, das verdient in Zeiten, der zu beklagenden wachsenden gesellschaftlichen Spaltung, größere Beachtung und kein lapidares Wegwischen mit „linken“ Super-Slogans.
Bei allen guten Absichten sollte man vielleicht nicht vergessen: Wenn man jemand mit guten und wahren Argumenten konfrontiert und überzeugen möchte, entsteht beim Gegenüber das Gefühl mit dem Rücken an der Wand zu stehen.
Die linke Wand aus Granit
Ich dachte lange, eine harte Wand gäbe es nur ganz weit rechts. Doch sie steht auch auf der Seite derer, die diese rechte Wand aus Zynit mit Meißeln aus Menschlichkeit beackern.
Sie nennt sich: „Ich diskutiere nicht über Menschenrechte“, „Ich erkläre mich nicht“, „Hier ist kein Platz für Grauzonen.“
Aber was ist daran gut? Was macht sie so hart?
Ich verstehe diese Haltung. Ich teile sie natürlich, wenn es um manifeste Entmenschlichung geht. Aber ich habe erlebt, wie sie sich manchmal verhärtet – zu einem Panzer, zu einer Account-Performance, zu einem Monolog mit Haltung. Und dann geschieht das Gleiche. Der Dialog stirbt. Nicht aus Bösartigkeit, sondern aus Inszenierung. Aus dem Wunsch, gesehen zu werden, aber nicht irritiert. Wer nur sendet, aber nie empfängt, verwechselt Klarheit mit Lautstärke.
Menschlichkeit zu propagieren heißt vielleicht auch: durch den Diskurs zu gehen, den man verachtet. Durch Morast zu waten. Nicht um zu gefallen, sondern um Menschen, die man verloren glaubt, wieder an den Tisch zu holen.
Denn was nützt Menschlichkeit, wenn niemand mehr da ist, der von ihr erreicht wird? Tun wir es dann nur noch für uns, für das gute Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen? Für Likes?
Das wäre ungut.
Und für den Morast gibt’s Gummistiefel
Die Kunst des harten Gespräch
Klarheit ist kein Widerspruch zu Beziehung. Im Gegenteil, wer wirklich Klarheit will, muss sie aushalten lernen. Auch dann, wenn sie unbequem wird.
Ein echtes Gespräch braucht nicht nur Meinung, sondern Verletzlichkeit. Es braucht die Fähigkeit zu sagen: „Ich weiß es nicht. Hilf mir, dich zu verstehen.“ Und es braucht die Bereitschaft, sich stören zu lassen, ohne gleich das Gegenüber abzuwerten.
Es kann durchaus überraschend und erkenntnisreich sein, wenn man durch den Morast zur Gefühlsebene kommt. Man sieht nämlich plötzlich wieder Menschen …
Die Rote Linie – Der sinnlose Marker
Man hört es oder liest es oft: „Das ist m-eine rote Linie und über die gehe ich nicht, weil es die Menschenwürde verletzt.“
Fein. Aber damit ist bereits jedes locker-ernsthafte Gespräch am Ess- oder Stammtisch beendet. Ein Realitätscheck lohnt hier durchaus, auch wenn es im Realitätsschock endet.
Ich trage diese Linie daher nicht (mehr…) vor mir her. Ich habe sie im Rucksack und gehe ein Stück mit, höre zu und sammle die Gründe. Erst am konkreten Punkt lege ich sie hin. Nicht als Mauer, sondern als Maßband: Hier kippt es dann von Sorge zu Entwürdigung. Wenn wir es anders sagen können, bleibe ich. Sonst bleibe ich nicht. Ohne Drama und ohne Urteil.
Würde ich es anders machen, stünde ich sofort vor der Wand aus Zynit. Die wird es immer geben – unverrückbar. Eine Abarbeitung an ihr ist zum Scheitern verurteilt. Also suche ich die Stellen, wo sie Risse, Löcher oder Öffnungen hat. Dort versuche ich hindurchzukommen. Nicht mit der Brechstange, sondern mit der Frage nach dem, was hinter der Härte noch menschlich ist.
Zwischenraum statt Zynismus
Ich bin z.B. ganz sicher kein Freund der AfD. Lehne ihre Ziele und Programmatik ab. Man braucht eigentlich keine weiteren Erklärungen, was diese Partei so gefährlich macht. Aber ich bin damit nicht automatisch persönlicher Gegner ihrer Wählerschaft. Das funktioniert so nämlich im Alltag nicht. Es hat noch nie funktioniert und wer das behauptet macht sich etwas vor, lebt einsam oder unter einer Glocke.
„Wer AfD wählt ist ein Nazi!”
Das verdrängt den durchaus großen Anteil von Protestwähler:innen. Der laute Slogan raubt ihnen die Stimme und drängt sie an die Wand. Der Satz ist wie eine Sofaecke fürs eigene Lager – bequem, warm, und dafür gibt sofort Applaus. Aber er macht nichts anderes, als das, was man den anderen vorwirft: undifferenzieren, abwerten, Stimmen wegdrücken.
Vielleicht wäre es vorteilhafter, wenn man mit dieser Art kollektiven Verbalprügel vorsichtiger wäre?
Ich kenne viele Wähler oder Symphatisanten, die rechtsradikale Narrative wiedergeben, aber im Herzen widersprüchlich bleiben. Vielleicht sind sie nicht überzeugt, sondern überfordert. Vielleicht nicht ideologisch, sondern emotional erschöpft. Ihre Motive mögen irrational erscheinen, aber ihr Gefühl ist es oft nicht. Manchmal merkt man im Gespräch, dass Gefühle vielleicht doch eine wahre Grundlage haben. Vielleicht keine solide, aber dennoch ist da etwas, was real ist.
“Ja, aber …” – Nicht jede (fragende) Relativierung ist automatisch falsch. Unser Gehirn drängt uns auch manchmal zu unbewussten Whataboutism. Natürlich ist das oftmals auch gefährlich, um die Debatte zu verschieben, aber halt manchmal nicht mit Absicht.
Einladung statt Urteil
Ich will niemanden freisprechen, der Hass verbreitet. Aber ich will auch niemanden verlieren, der sich noch retten ließe. Es IST ein schmaler Grat.
Nicht jede leise Stimme, die etwas Fragwürdiges sagt, ist schon verloren. Manchmal ist sie nur vereinsamt. Manchmal ringt sie. Und manchmal braucht sie nur jemanden, der nicht sofort die Wand hochzieht.
Haltung ist wichtig. Aber Menschlichkeit ist mehr. Vielleicht beginnt sie da, wo wir lernen, auch dann zu bleiben, wenn es unbequem wird?
Sätze für harte Gespräche
1. „Ich will verstehen, wofür du eigentlich bist, nicht nur, wogegen.“
2. „Was wäre für dich ein Beweis, der deine Meinung ändern könnte?“
3. „Wenn wir das so stehen lassen, wen trifft es am Ende und wie rechtfertigen wir das?“
(Nächster Satz funktioniert gut bei z.B. „Linke – alle verhaften“)
4. „Definiere ‚links‘. Ich bin z.B. ‚linksliberal‘. Wenn das so kommen sollte, würde es auch mich betreffen. Möchtest du das wirklich?”
Wie schon erwähnt, solche Fragen funktionieren eigentlich nur auf Beziehungsebene. Um miteinander im Dialog zu bleiben. Es wirkt nicht immer, aber zumindest ist es eine ausgestreckte Hand – und es kann dauern, bis sie ergriffen wird.
Entmenschlichung bleibt Entmenschlichung, wenn es Menschen trifft
Es geschieht nicht selten, dass Vertreter:innen von AfD und auch deren Wähler:innen entmenschlicht werden. Emotional kann ich das nachfühlen, weil diverse Akteure nicht nur am Rand des Erträglichen agieren, sondern auch darüber hinaus. Bewusst. Aber ist mit deren Entmenschlichung und mit Anwendung von kollektiver Prügel nicht genau damit die vorher propagierte Grenze erreicht?
Ich behaupte ja und lehne solche extremen Verurteilungen oder Diskreditierungen ab.
Aus mehreren Gründen:
Ich bin ein Fan unseres Grundgesetzes und Artikel 1 ist mir wichtig. Immer. Wir gestehen das sogar Straftäter:innen zu.
Es treibt Leute eher in die Radikalisierung. Man erreicht das Gegenteil von dem, was man beabsichtigt.
Es bringt nichts, wenn man Einzelpersonen damit “aus dem Spiel” nimmt – es werden immer andere nachkommen. Vielleicht noch extremere.
Meiner Meinung nach ist es besser, das perfide System zu analysieren und zu benennen, was Menschen in die Radikalisierung oder Entfremdung unserer Demokratie treibt. Zu verstehen, wo die Mechanismen sind und wie sie funktionieren.
Nachsatz: Über KI s(t)imulierte Haltung
In Zeiten künstlicher Intelligenz wird es immer schwerer, echte Haltung von gespielter zu unterscheiden. Es entstehen Texte, klug formuliert, empathisch im Ton, moralisch aufgeladen und dennoch leer. Weil niemand dahinter steht, der sie durchlebt hat.
KI kann längst schreiben, was nach Mut klingt, nach Klarheit, nach Empörung. Aber sie kennt keinen inneren Riss, kein Ringen, keine Verantwortung.
KI ist digital: Null und Eins. Richtig oder falsch. Unser Leben ist analog – widersprüchlich, fehlerhaft, menschlich. Es kennt keine klaren Kategorien.
Zwischen richtig und falsch gibt es unendlich viele Zwischenstufen. Deshalb dürfen wir im Dialog nicht so tun, als wären wir selbst digitale Systeme. Wir sind der Zwischenraum. Der Filter. Der Resonanzkörper.
Wir sind das, was Sprache menschlich hörbar machen sollte. Haltung ist nicht binär. Und das Ringen um sie darf nicht im binären Denken ersticken.
Ich nutze KI selbstverständlich auch. Als Gedankensortierer, als Sparringspartner, als Recherchetool und zur Textkorrektur. Sie hilft mir, präziser zu werden und den Lesefluss zu steigern (hoffe ich..). Und sie tritt mir auf die Füße, wenn ich textlich zynisch werde. Das will ich auch so.
Um meine eigene Haltung muss ich selbst ringen. Gerade dort, wo sie bröckelt oder sich als brüchig erweist. Es ist aus meiner Sicht überhaupt nicht falsch, mit KI zu schreiben. Aber es ist gefährlich, Haltung zu simulieren, wo keine Erfahrung, keine Verletzlichkeit, kein echtes Denken mitschwingt.
Wer Haltung zeigt, darf oder sollte auch Werkzeuge nutzen. Aber er oder sie muss sich darin verorten. Sonst bleibt es Oberfläche. Wenn man nur noch auf „okay“ klickt, ohne inneren Filter, geht etwas verloren. Aus Text wird dann Dekoration, aus Klarheit Pose und aus Resonanz nur noch Stil oder eine nur noch sendende Ich-Performance.
Und am Ende steht dann die Wand …

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