Julia Klöckner will Neutralität und verbietet dafür auch Zeichen der Menschlichkeit.
Wer politische Symbolik pauschal verbannt, verwechselt Haltung mit Parteimeinung, Erinnerung mit Ideologie, und unsere Verfassung mit einem Ordnungsruf. Diese Art von Symbolpolitik ist nicht neutral. Sie ist aus meiner Sicht gefährlich.
Stellen wir uns einen Bundestag vor, in dem kein Zeichen mehr sichtbar ist für Vielfalt, für Menschenrechte, für Erinnerung an Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Kein Regenbogenpin, keine Srebrenica-Blume, keine schwarze Schleife. Nur noch: Bundesadler, Deutschlandfahne, EU-Flagge.
Drei erlaubte Symbole, die staatliche Macht repräsentieren, aber keine Haltung.
Was Klöckner will
Genau das ist das Ziel der neuen Regelung von Bundestagspräsidentin Julia Klöckner. Unter dem Vorwand der „Neutralität“ will sie politische Symbole im Plenarsaal untersagen. Die Begründung: Debatten sollen ausschließlich verbal geführt werden. Abzeichen und Anstecker würden ablenken, abgrenzen, aufwiegeln. Symbole sollen raus aus dem Raum.
Aber was ist das für ein Verständnis von demokratischer Kultur, das sich vor Zeichen fürchtet? Wenn ein Regenbogen zur Provokation wird, ist nicht der Pin das Problem, sondern die Vorstellung, dass Menschlichkeit parteiisch sei.
Nicht jedes Symbol ist politisch im Sinne von parteitaktisch. Nicht jede Meinung, die sichtbar gemacht wird, ist ein Angriff auf die Ordnung. Ganz im Gegenteil: Wer ein Zeichen für Minderheitenschutz oder Erinnerungskultur trägt, verteidigt jene Grundrechte, auf denen unser Staat gebaut ist. Die Menschenwürde, die Gleichberechtigung, das Verbot von Diskriminierung, sie sind nicht neutral. Sie sind konstitutionell.
Neutralität – Mutlos und nutzlos
Es ist falsch, alle sichtbaren Botschaften gleichzusetzen. Zwischen einem Hakenkreuz und einer Antifaschismus-Schleife liegt mehr als eine modische Geschmacksfrage. Zwischen einem Palästina-T-Shirt mit Vernichtungsrhetorik und einer Gedenkblume für Genozidopfer liegt ein moralischer Abgrund. Wer beides mit demselben Regelwerk vom Rednerpult verbannen will, löscht nicht die Polarisierung, er verwischt die Grenzen.
Was wir brauchen, ist kein generelles Symbolverbot, sondern eine verfassungsklare Unterscheidung:
Ist das Zeichen Ausdruck von Grundwerten oder Angriff auf sie?
Ist es ein Symbol für Vielfalt, Gedenken, Gerechtigkeit? Oder eines für Hass, Ausgrenzung, Gewalt?
Ein solches Verständnis wäre kein Bruch mit der Neutralität, sondern ihre demokratische Präzisierung.
Was das bedeutet
Neutral gegenüber Farben zu sein, bedeutet nicht, farbenblind gegenüber Menschenrechten zu werden. Ein Bundestag, der nur noch das Staatswappen erlaubt, aber nicht die Zeichen seiner ethischen Grundlage, verliert das Wichtigste, was er haben kann: Gesicht.
Wenn das Tragen eines Regenbogenpins als politische Provokation gilt, muss dann nicht auch das sichtbare christliche Kreuz am Revers hinterfragt werden? Neutralität verlangt Konsequenz. Wer Zeichen für Menschlichkeit untersagt, darf auch die Symbole des Glaubens nicht als selbstverständlich durchwinken. Oder anders: Wer den Regenbogen entfernt, aber das Kreuz duldet, führt keine Neutralität, sondern eine kulturelle Präferenz.
Zumal das Christentum in Teilen seiner gesellschaftspolitischen Haltung immer wieder mit unserem Grundgesetz kollidiert: bei Fragen der Geschlechtergerechtigkeit, der sexuellen Selbstbestimmung oder der Trennung von Staat und Kirche. Es mag in seiner Geschichte humanistische Impulse enthalten, aber es ist und war kein Garant für Grundrechte.
Keine Angst vor Vielfalt – wenn das Grundgesetz Maßstab ist
Ein beliebtes Scheinargument lautet: „Dann könnte ja jeder mit irgendeinem Symbol kommen.“ Nein, kann er nicht. Zumindest nicht, wenn wir uns an das halten, was uns als Gesellschaft zusammenhält: unsere Verfassung.
Nicht Beliebigkeit ist das Risiko, sondern das Fehlen einer klaren verfassungsbasierten Orientierung. Wer alles gleichmacht, macht auch die Unterschiede unsichtbar, die unsere Demokratie verteidigen.
Nicht nur die CDU lässt hier eine Chance liegen, sondern wir alle.
Alle, die wir vom Grundgesetz profitieren, ohne es in solchen Momenten zu verteidigen.
Es ist kaum zu verstehen, dass die Verfassung, auf der unsere Freiheit beruht, in Debatten wie dieser kaum eine Rolle spielt. Als ginge es um Etikette statt um Ethik. Als wäre die Ordnung im Raum wichtiger als die Ordnung der Werte.
Wenn Demokratie zur Floskel wird
Es ist das was auch in vielen Diskussionen fehlerhaft läuft: Demokratie als Schlagwort macht natürlich Sinn. Sie ist aber sinnlos ohne menschliche Werte, mit denen sie gefüllt werden muss. Wir merken das, wenn diverse Kräfte und demokratisch gewählte Parteien, Demokratien aushöhlen – bis sie implodieren.
Wollen wir das tatsächlich?
Unsere Demokratie ist gefüllt mit Grundgesetz und unserer freiheitlich-liberalen Verfassung. Das ist letztendlich das, was – für uns – zählt. Es ist damit auch vollkommen klar, was dann „gegen uns“ läuft und was unsere Interessen unterstützt. Damit ist auch klar, welche Symbole innerhalb unserer Verfassung stehen – und welche nicht.
Damit wird auch klar, was Hass, Hetze und verfassungswidrig ist. Es gibt hierbei keine Ausreden. Eigentlich …
In der öffentlichen Auseinandersetzung wird derzeit viel von Menschlichkeit gesprochen und gleichzeitig wenig davon gelebt. Gefordert wird sie von allen Seiten: Von denen, die sich unmenschlich äußern, aber nicht kritisiert werden wollen. Von denen, die sich mit aller Kraft für Menschenrechte einsetzen, dabei aber manchmal selbst in Abwertung verfallen.
Es ist, als hätten wir das Wort Menschlichkeit behalten, aber die Unterscheidungskraft verloren, die es braucht, um ihr gerecht zu werden.
Genau in diesem Moment beschließt die Bundestagspräsidentin, Menschlichkeit sichtbar zu verbieten, in Form von Pins, Schleifen, Blumen. Nicht weil sie Hass zeigen, sondern weil sie Haltung zeigen.
Was daher hier verboten wird, ist nicht Symbolpolitik, sondern das stille Zeichen, dass jemand mitfühlt, erinnert oder eintritt für andere.
Klöckners Regelung wirkt damit wie ein Maßanzug für eine Gesellschaft, die sich nach Ordnung sehnt, aber ihre Empathie verlernt hat.
Julia Klöckners Regelung mag daher auch demokratisch aufgeräumt wirken. Doch in Wahrheit ist sie ein Ordnungsvorschlag für eine Republik, in der Sichtbarkeit verdächtig wird und Haltung als Störfaktor gilt. Wer Haltung stört, hat nicht verstanden, dass Demokratie allein keine Menschlichkeit garantiert. Erst das Grundgesetz, unsere Verfassung und unsere Haltung füllt sie mit Sinn.
Was wir bräuchten
Es bräuchte kein Generalverbot, sondern eine Regelung, die zwischen Symbol und Propaganda unterscheidet. Eine, die Gedenkzeichen, Vielfaltssymbole oder Menschenrechtsbotschaften schützt und gleichzeitig klare Grenzen gegen Verfassungsfeindlichkeit zieht. Eine transparente Ethik-Kommission statt politischer Einzelfallwillkür. Eine Praxis, die nicht Ordnung spielt, sondern offensiv Haltung zeigt.
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Vielleicht kommt in den Plenarsaal doch mal einer rein: Mit Pink-Floyd-Shirt und aufgedrucktem Bild von „Dark Side of the Moon“. Das ikonische Cover mit Prisma, das weißes Licht in Regenbogenfarben zerlegt. Ein physikalisches Symbol für Vielfalt. Verboten? Vielleicht. Verstörend?
Nur für die, die lieber im Schatten regieren …

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