Inspiriert wurde dieser Text durch ein Social-Media-Profil, das mich – auf seltsam vertraute Weise – irritiert hat.
Nicht, weil es plump oder offensichtlich hetzerisch war. Im Gegenteil: Es wirkte gepflegt, wortgewandt, sogar intellektuell ambitioniert. Keinesfalls trollhaft. Am anderen Ende war ein echter Mensch.
Aber hinter jedem „Ich denke selbst“ schimmerte eine Wut, die längst nicht mehr dachte, sondern nur noch suchte: nach Schuldigen, nach Bestätigung, nach einfachen Wahrheiten in einer komplexen Welt.
Was mich daran getriggert hat, war weniger der Inhalt als das Muster: Die Pose des kritischen Geistes, verbunden mit einem Denken, das sich gegen jeden Zweifel immunisiert hat. Ich wollte verstehen, warum diese Art des Denkens so wirksam ist. Warum es so gefährlich wird, wenn sich dahinter mehr Schein als Sein verbirgt.
Der Account-Name ist schon ein ideologisches Dauerprogramm. Sinngemäß:
„Alles, was links ist, ist schädlich.„
Hauptaufhänger war ein – auch in meinen Augen – widerlicher Satz, der 2021 auf einem Parteitag der Grünen Jugend fiel. Die Empörung war absolut berechtigt.
Doch genau das macht es so perfide: Es geht längst nicht mehr um diesen einen Satz. Er dient nur als Steinbruch für eine Argumentation, die sich gegen alles richtet, was als “links“ gilt. Natürlich ist oftmals das “Links“ gemeint, welches rechtsdrehende Seiten oder Akteure populistisch verkürzt als “linksgrün“ oder “linksgrün-versifft“ penetrieren.
Solche Einzelzitate – oft aus dem Kontext gerissen, manchmal bewusst zugespitzt – werden zur Projektionsfläche. Sie stehen sinnbildlich für eine ganze Reihe vermeintlicher Vergehen, die von rechter und besonders von rechtsextremer Seite zur moralischen Aufrüstung genutzt werden.
Es ist wie so oft: Ausreißer werden verallgemeinert, Extreme zum Maßstab gemacht. Am Ende steht ein ideologisiertes Weltbild und nicht selten die Entmenschlichung des Gegenübers.
Was dabei immer leidet: die Mitte.
Andersdenken – die gemeinsame Wohlfühloase
Es gibt Menschen, die von sich sagen, sie seien Andersdenkende. Sie meinen damit: unabhängig, kritisch, ideologiefrei.
Zu oft entpuppt sich dieses Selbstbild bei näherem Hinsehen als bloße Fassade, hinter der sich das standardisierte Gedankengut rechtspopulistischer oder gar rechtsextremer Narrative verbirgt.
Das Auffällige: Die Aussagen ähneln sich bis zur Wortwahl. Da wird von der “links-grünen Meinungsdiktatur“ gesprochen, vom “Volk“, das “endlich aufwacht“, von “Systemparteien“, “Genderwahn“, “Massenzuwanderung“ oder dem “kranken Gutmenschentum“.
Begriffe, die selten aus einem eigenständigen Denkprozess stammen, sondern direkt aus dem Repertoire einschlägiger Akteure wie AfD, Compact, Tichy, Nius, Apollo News oder unzähligen rechtsextremen Telegram-Kanälen und ähnlichen pseudojournalistischen Sprachrohre ihren Ausgang finden.
Hufeisen und emotionales Missverständnis
Seit einiger Zeit taucht sogar dieses Narrativ auf:
“Die Linken sind rechtsextrem“
Das klingt erstmal absurd, ist aber Teil eines strategischen Framings. Es kombiniert das alte Hufeisen-Narrativ (links = rechts, nur andersherum) mit einer tief sitzenden Emotionalität: dem Gefühl, von “links“ bevormundet zu werden.
Gerade in Ostdeutschland wird das oft mit DDR-Erfahrung aufgeladen: „Die sagen mir, wie ich zu reden habe – das kenn ich doch.” Im Westen kommt das Bevormundungsnarrativ als Abwehr gegen Gender, Klima, Diversität dazu.
Was dann als linksextrem gebrandmarkt wird, ist meist kein Extremismus, sondern das Unbehagen an gesellschaftlichem Wandel.
Verständlich, aber gefährlich, wenn daraus Gleichsetzungen entstehen, die echte Rechtsextreme verharmlosen und es ist weder historisch haltbar, noch politisch redlich.
Über was nachdenken?
Was diesem propagierten Andersdenken fehlt, ist meist jede Form von Selbstreflexion. Statt Argumenten werden Bedrohungsbilder geliefert, statt Analysen Schuldige. Und wer widerspricht, wird sofort als Teil der Ideologie, des Mainstreams oder der linksversifften Blase abgetan.
Kritisches Denken? Nein. Es ist der reflexhafte Vollzug eines Narrativs, das längst vorformuliert ist.
Dabei ist die Vorstellung, sich außerhalb von Ideologien zu bewegen, bereits ein ideologisches Manöver. In Wahrheit ist jeder Standpunkt in ein Weltbild eingebettet. Wer das leugnet, immunisiert sich gegen Kritik und hält seine Sicht für die einzig wahre.
Besonders gefährlich wird es, wenn diese Andersdenkenden sich zugleich über Verfassung, Grundrechte und demokratische Institutionen stellen. Sie tun so, als wären sie die letzten Aufrechten – während sie genau jene Prinzipien untergraben, auf denen eine offene Gesellschaft beruht.
Es sind nicht die Fragen, die problematisch sind.
Es ist die Art, wie daraus pauschale Urteile entstehen, Feindbilder, Verachtung. Und am Ende: Verachtung unserer freiheitlich-demokratischen Verfassung im Namen der Meinungsfreiheit und falsch verstandener Demokratie. Ein Demokratiebild, das ihre Meinungen als zulässig empfindet, weil sie gleichmäßig wiederholt und oft laut geäußert wird, aber dabei völlig vergisst, diese Wunsch-Demokratie mit menschenwürdigen Inhalten zu füllen.
Wohlgemerkt: Nicht jede rechte Position ist per se falsch. Auch konservative Perspektiven gehören unbedingt in den Diskurs. Es braucht den Austausch, auch mit Standpunkten, die man nicht teilt. Doch es braucht dafür einen gemeinsamen Boden und das Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung, zu Menschenrechten, zur Würde des Gegenübers. Wer diesen Boden verlässt, kann sich nicht auf ihn berufen.
Zwischen “rechts“ und “rechtsradikal“ liegt ein Unterschied wie zwischen Haltung und Hetze. Und doch wird alles, was objektiv rechtsradikal ist – von menschenverachtenden Parolen bis zu Gewaltdrohungen – in die harmlose Schublade “rechts“ geprügelt. Warum? Weil sich aus der Opferrolle heraus besser empören lässt.
Wer sich als Opfer von “linker Intoleranz“ stilisieren will, muss also vorher seine eigene Radikalität sprachlich weichzeichnen.
Denken in Lehren
Ich behaupte nicht, anders zu denken. Ich versuche, nachzudenken. Und mit den möglichen Ergebnissen möchte ich mich innerhalb unserer freiheitlich-demokratischen Verfassung bewegen, im Geiste des Grundgesetzes und der Menschenrechte.
Mir ist bewusst, dass dies nicht immer gelingt, dass Lösungen dadurch erschwert werden, und dass man selbst – im realen Alltagsleben – diese Leitlinien nicht immer einzuhalten vermag. Aber man hat wenigstens Leitlinien. Und diese Leitlinien sind der Garant für ein friedliches Zusammenleben. Ein über Jahrhunderte entwickeltes Erfolgsmodell.
Ich muss die Grundsätze dieses Modells nicht neu denken und ich könnte es vermutlich auch gar nicht besser. Andere haben vor mir dafür gerungen, gestritten und gelitten. Aber ich kann versuchen, darüber nachzudenken, wo und wie wir dieses Modell weiterentwickeln müssen.
Vor allem dann, wenn seine Regeln verletzt oder zu einseitig ausgelegt werden, zum Nachteil anderer Menschen oder anderer Gruppen. Sei es durch bewusste Verletzung oder durch vermeintlich notwendige Anpassung.
Das Nachdenken sollte daher innerhalb eines humanen Menschenbilds geschehen. Und das ist wirklich komplex. Und wer in diesem Komplex “andersdenkt“, die Regeln beachtet und zu einem humanen Ergebnis kommt: Respekt.
Denken in die Leere
Ja, man kann und darf straucheln. Ich halte das für normal. Es ist aber entscheidend, wenn man sich bei etwas verhakt hat, wie schnell und solide man wieder zurückfindet.
Mir hilft da manchmal “Bombe 20“ weiter. Oder einfach nur eine sinnvolle Debatte, die hart aber fair zur Sache geführt wird. Neuerdings gelingt mir das auch mit “meiner KI“, die ich speziell in Richtung humanes Menschenbild getrimmt habe und die mir in die Seite rammt, wenn ich das verletze.
Bei jenen, die sich lautstark Andersdenkende nennen, scheinen diese Leitlinien oft längst eingerissen, überrollt von Angst, von diffusen Gefühlen, von Falschinformationen.
Sie fordern Debatten und entziehen sich ihnen mit wiedergekäuter Ideologie.
Sie sprechen von Freiheit und meiden jede Verantwortung.
Was bleibt, ist Meinung.
Und Wiederholung.
Das ist nicht anders gedacht.
Das ist einfach nur:
Leergedacht.

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