Warum ich das hier überhaupt schreibe? Ich hätte es mir leicht machen können und einfach sagen: „Ist halt so. Da kann man nichts tun.“
Aber das wäre Selbstbetrug.
Ich schreibe das, weil ich die Menschen, um die es geht, nicht aufgeben will. Weil ich glaube, dass der Rückweg zu einer gemeinsamen Wirklichkeit möglich ist, wenn man erkennt, dass nicht jede Meinung harmlos, aber jede Verleugnung gefährlich sein kann. Ich will zeigen, wie destruktiv Desinformation wirkt. Wie sie Menschen spaltet, lähmt, radikalisiert. Und wie sie letztlich dazu führt, dass wir nicht mehr über unsere Realität reden können, weil wir keine gemeinsame mehr haben.
Ich bin sicher, einige Leser:innen haben ähnliche Erfahrungen und das gleiche Dilemma.
Müll ins Wohnzimmer
Es ist eines von diesen vielen oberdämlichen Sharepics. Ich nehme es – und den menschengemachten Klimawandel – als Beispiel:

Es erreichte mich per WhatsApp. Ohne persönliche Worte weitergeleitet. Wie so oft, kommt damit ungefragt rechtspopulistische Propaganda ins Wohnzimmer.
Also nur mehrmals im Kreis geschossener Müll.
Weitergeleitet auch von Freunden und Verwandten und um die geht’s mir hier.
Eine Analyse ergab:
Das Bild stammt aus einem satirisch gefälschten Meme, das echte Wetterdaten mit manipulierten Zahlen und einem suggestiven Kommentar („Der heißeste Mai seit Menschengedenken geht endlich zu Ende“) kombiniert. Es suggeriert, dass es im Mai ungewöhnlich kalt gewesen sei, inklusive der völlig absurden Temperatur von -13°C in Süddeutschland.
Faktencheck durch Correctiv: Die Karte ist manipuliert.
Die Zahlen entsprechen nicht den realen Temperaturen. Der Hintergrund (rot eingefärbt) wird missbräuchlich verwendet, um eine Verzerrung der Wahrnehmung zu erzeugen.
Das Bild kursierte bereits 2023 in ähnlicher Form. Die Quelle der Verbreitung liegt primär im verschwörungsideologischen oder klimaskeptischen Umfeld – etwa in Telegram-Kanälen, Facebook-Gruppen oder bestimmten pseudojournalistischen Webseiten.
Ziel: Zweifel säen an wissenschaftlich belegten Klimatrends, insbesondere an der Erderwärmung – durch emotional aufgeladene, scheinbar widersprüchliche „Beweise“.
Fazit: Klassisches Beispiel für visuelle Desinformation. Die Karte ist satirisch oder manipulativ gemeint, wird aber (bewusst oder unbewusst) oft ernst genommen und zur gezielten Verwirrung instrumentalisiert.
Was es so erbärmlich macht?
Dass solche Bilder von Menschen verschickt werden, die über technischen Sachverstand und jahrzehntelange Lebenserfahrung verfügen. Ich finde es besonders schmerzlich, weil darunter auch Menschen sind, die mich mehrere Jahrzehnte freundschaftlich begleiten und mir quasi ans Herz gewachsen sind.
Es geht mir dabei nicht um unterschiedliche Auffassungen bezüglich Politik und Gesellschaft oder in dem konkreten Fall um die Diskussion, was die beste Handlung für Klimaschutz sein könnte. Das muss so und wäre völlig ok.
Es geht mir um kognitive Entfremdung. Um das Zertrümmern der gemeinsamen Basis und um die Erosion von Fakten mit gleichzeitigem Schienbeintritt gegen Wissen und Wissenschaft.
Noch vor ein paar Jahren wären erkenntnisreiche Unterhaltungen über diese Thematik möglich gewesen. Auf objektiver Faktenbasis konnte man auch Ängste gemeinsam abbauen. Gegenseitig helfen. Gemeinsam Orientierung suchen.
Heute? Solche Unterhaltungen sind nur noch niederschmetternd und entwürdigend. Für alle Beteiligten.
Sie folgen dem immer gleichen Muster.
Wissenschaft vs. Gefühle
Zuerst das Infragestellen wissenschaftlicher Erkenntnisse, nur weil das Gefühl dazu nicht passt. Gefühle, wo man spürt, sie sind infiziert mit Sharepics und YouTube-Videos, die meist direkt aus dem Entsafter des Hasses stammen. Dabei werden keine Anzeichen sichtbar, dass diese wissenschaftlichen Erkenntnisse irgendwie im Ansatz erfasst wurden. Das wäre weiter nicht schlimm, wir sind meist keine Wissenschaftler:innen.
Aber der präsentierte Widerspruch hat es in sich: Es folgt das obligatorische “Das kann nicht sein, weil ICH ….”. Da dies am Flipchart des Egos offensichtlich zu wenig ist, folgt die Zerstörung von Wissenschaft mit Märchen aus 1001 Nacht.
Was danach folgt, sind Diskurse über verlässliche oder seriöse Quellen, die damit einhergehende Kannibalisierung von Vertrauen in staatliche Institutionen und die Banalisierung von wissenschaftlichen Erkenntnissen zu bloßen Meinungen von angeblich bezahlten Wissenschaftler:innen. Widerspruch erfolgt meist mit Koryphäen der Pseudowissenschaft, die manchmal tatsächlich von einer Lobby finanziert wurden oder ihre Ergüsse über pseudojournalistische Seiten verkaufen. Oder gleich mit Esoterik. Manchmal sogar braune Esoterik, eingeprügelt ohne Bewusstsein für ihre Herkunft und Absicht.
Auffallend: Es sind plötzlich keine seriösen Quellen wichtig, weil die daraus gebackene und erzeugte Überzeugung sowieso die verlässlichste Quelle ist.
Danach wird über den Stellenwert der eigenen Meinung fabuliert – der natürlich hoch sein muss, weil jahrzehntelange Berufs- und Lebenserfahrung vorhanden ist.
Desinformation – Die neue Sucht
Meine Generation (Boomer) wurde eigentlich anders sozialisiert. Mit Menschlichkeit und Gerechtigkeit für alle. All das war hoch im Kurs. Nicht unbedingt aktiv dafür kämpfend, aber wohlwollend in Kauf genommen und erwartet. Fakten und Wissenschaft waren die Leitplanken.
Jetzt muss ich mir seit einiger Zeit anschauen, wie sich einige dieser Menschen in der Welt der Desinformation verlieren. Wie sie ihre Empathie verlieren. Wie einige zynischer werden. Sich nur noch um ihren eigenen Empörungszorn drehen. Gegen alles und jeden wettern müssen. Es reicht, wenn die Pommes zum Filetsteak nicht korrekt gesalzen ist, schon wird “grüne Intervention” oder “Wokeness” dahinter vermutet. Angst vor Sichtbarkeit von Minderheiten – dabei zeigen sie genau diese Häme, die ihnen früher aufgestoßen ist.
Ihnen selbst fällt das oftmals gar nicht auf.
Aber auch: wie ihre Unterschiedlichkeit gleichgebügelt wird. Durch Desinformation, die oftmals nur die gleichen Phrasen drischt, die dann ungefiltert übernommen werden. Hundertfach gleich. Nicht mal Mühe für eigene Destruktivität bleibt.
Man sieht, wie sich dabei immer weiter in Tunnel eingraben. Betonharte Schächte, in denen es keine Ausgänge mehr gibt. Nur noch Härte und Dunkelheit.
Ich finde es zum Kotzen, weil ich nichts oder nicht viel tun kann. Würde ich diskutieren, es würde als Affront verstanden. Es wäre nervig.
Nervig deswegen, weil ich als “störende Person” wahrgenommen werde. Nur weil ich diesem offensichtlichen Bullshit offen widerspreche. Weil ich nachhake. Weil mir diese Menschen etwas bedeuten. Gerade weil ich um die Gefahren der Radikalisierung weiß und dies in unserer Gesellschaft schon lange feststellbar ist.
Und zwar so, dass es auch für Nichtbeteiligte massive Folgen hat. Auch für die, die diesem Unsinn aus dem Weg gehen und am Tisch nur ihre Ruhe haben möchten. Sie bekommen aber “am Esstisch” keine Ruhe, weil oftmals alle paar Minuten die radikalisierte Überzeugung in allen Variationen zwanghaft raus muss.
Schutzlos ausgeliefert
Man möchte bewahren, schützen und vermitteln. Man möchte sich mitteilen und auch selbst aufgefangen werden. Es ist ja nicht so, dass man keine Kritik an Politik oder Politiker hätte. Man möchte lediglich dieses destruktive Politiker-, Demokratie- und Rechtsstaatbashing nicht mitmachen. Man findet sich plötzlich in einer Verteidigungsposition wieder – obwohl man Missstände aufzeigen und diskutieren möchte.
Ich nehme für mich nicht in Anspruch Wissen gepachtet zu haben, aber ich verlange von mir, dass ich mir Wissen beschaffe – so gut als mir überhaupt möglich. Dazu wäre Wissens- und Erfahrungsaustausch gut.
Man dringt kaum noch durch.
Nötiger Widerspruch wird abgetan, als wäre er ein geschwollener Furunkel am Hintern des gerade so schön empörten Gedankens. Es darf keine Bauchschmerzen geben, wenn solche Bilder versendet werden. Kein Widerspruch kommen, wenn blanker Unfug am Tisch verkündet wird.
Aber hey … ist ja nur ein Bild. Ein Bild, das Menschen in die Irre führt. Ein Bild, das Freundschaften beschädigt. Ein Bild, das die Welt ein bisschen dümmer macht. Als nächstes ein Bild, das entmenschlicht und darauf ein Bild, das mir eigentlich sogar Angst machen sollte, weil es eine zukünftige Gesellschaft verlangt, in der es nur noch eine Meinung geben würde.
Faschistischer und menschenverachtender Rotz, verbreitet durch Menschen, die mir am Herzen liegen.
Ich könnte gerade in meine Traurigkeit wieder reinkotzen.
Ich schreibe das nicht gegen bestimmte Menschen, sondern für Klarheit. Also gegen meine und gemeinsame Selbstvernebelung.
Für meine Selbstachtung.
Die neue Vorsicht
Früher konnte ich einfach ich sein. Laut, direkt, manchmal rotzig – aber ehrlich.
Mit korkigem Pfälzer Charme. Man diskutierte, stritt, vertrug sich wieder. Ganz normal. Und: Das schaffte ein gemeinsames Band und verdichtete eine solide Basis, nämlich die der gemeinsam gesuchten Fakten. Heute überlege ich, bevor ich spreche. Denn jedes klare Wort birgt das Risiko, falsch verstanden zu werden.
Die neue Vorsicht ist keine neue Achtsamkeit. Sie ist ein Filter. Einer, der trennt statt verbindet. Ich soll leiser werden, anpassungsfähiger. Während andere laut ihre Ressentiments verteilen – ohne Rücksicht.
Früher war ich mittendrin. Heute merke ich: Ich müsste mich kleiner machen, um noch reinzupassen.
Das fühlt sich falsch an.
Dabei merke ich, wie ich mich innerlich von diesen Menschen zurückziehe. Es macht keinen Spaß, wenn man bei Treffen nur noch die betonierten Wandverkleidungen dieser Schächte anschauen muss und dabei nur noch Kälte spürt. Aber ich möchte das nicht. Ich möchte “meine Menschen” zurückhaben. Gemeinsam denken fühlt sich einfach besser an.
Was mir dabei erst später bewusst wurde:
Es ist nicht nur der Verlust eines gemeinsamen Gesprächsthemas. Es ist der Verlust einer gemeinsamen Wirklichkeit. Wenn selbst grundlegende Fakten zur Verhandlung stehen, wird jede Diskussion absurd. Man kann nicht auf einen Nenner kommen, wenn das Koordinatensystem fehlt.
Wer für alles offen ist, kann nicht ganz dicht sein
Und was das so schwierig macht:
Gerade diejenigen, die sich von überprüfbaren Informationen verabschiedet haben, pochen am lautesten auf Respekt, aber nur für ihre Sicht. Kritik wird sofort als Angriff gewertet. Der Ton wird ruppig, der Austausch einseitig.
Und plötzlich heißt es: Du bist nicht offen genug. Dabei ist Offenheit ohne Wirklichkeitsbezug keine Tugend, sondern ein Einfallstor für alles – auch für das, was Menschen voneinander trennt.
Mir ist klar geworden, dass man sich nicht in Detaildiskussionen verbrauchen darf, sondern im Grundsätzlichen. Im Moment versuche ich mich im eindringlichen Benennen und Skizzieren der Desinformation.
So wie oben beim verlogenen Sharepic. Ich habe wortlos den Text der Analyse zurückgeschickt. Zumindest kam eine Rückmeldung, wo ich merkte, dass jemand selbst nach dieser Quelle des Blödsinns gesucht hat und sogar das Originalbild mit korrekten Zahlen fand.
In der Masse wenig, aber dieser “eine” war mir die Arbeit absolut wert.
Allerdings ist das auch schwierig, und gerade die vorher verlässlichen oder seriösen Quellen und besonders christliche Parteien, aber auch Parteistrategen aus der demokratischen Mitte – lassen einen oftmals im Stich.
Manche behaupten Brandmauer, reißen sie aber mit ähnlicher Populistik und Desinformation ein.
Und wundern sich dann, wenn die Wahrheit zersplittert.

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