Kabarett des Alltags

Trotzgeist trifft auf Kleingeist.

Es beginnt meist unscheinbar. Eine Rechnung. Ein Blick aufs Portemonnaie. Ein kurzer Moment, in dem sich Höflichkeit, Mathematik und Menschlichkeit zu einer kleinen Szene verdichten. 

„Macht 42,50“, sagt der Kellner zum bezahlbereiten Gast an unserem Nebentisch. „Moment… das kann nicht stimmen“, erwidert der Gast und zieht den gezückten Fünfziger wieder zu sich.

Und dann beginnt das Schauspiel: Rechnen, Nachrechnen, vielleicht ein Schulterzucken. Der Gast hat recht: 40,50. Der Kellner nickt und bittet den Gast um Entschuldigung. Ehrlich. Korrekt. Professionell. Ohne Attitüde.

Und dann kommt der Twist: Der Gast schiebt den Fünfziger hin. „Stimmt so.“

Nicht aus Großmut. Sondern, weil er sich nichts hat nehmen lassen. Weil er jetzt gibt, aber freiwillig. Er hat sich aus dem Bezahlvorgang ein Stück Würde zurückgeholt. Das Trinkgeld ist kein Dank, es ist ein kleiner Sieg.

Willkommen im Kabarett des Alltags. Hier geht’s selten ums Geld. Aber immer ums Prinzip.

Es gibt die, die gar nichts geben, weil sie “nur einen Kaffee“ hatten. Die, die fünf Brötchen holen, zwei Euro hinwerfen und auf fünf Cent bestehen. Prinzipienreiter im Kleinformat.

Die, die exakt 5 oder 10 % rechnen, wie aus dem Lehrbuch. Die, die mit „Lass stecken“ eine Geste machen wollen, aber vorher fünf Minuten aufs Kleingeld warten. Protzen-tualer Booster fürs Ego.

Und es gibt die anderen: Die, die geben, weil sie berührt sind. Die, die wissen, wie sich Dienst anfühlt. Die, die nicht rechnen, sondern sehen.

Das wahre Trinkgeld ist oft nicht das Geld. Es ist das Gefühl, nicht übersehen worden zu sein. Es kommt auch nicht drauf an, wie viel man gibt. Wer ehrlich geben kann, der hat verstanden, dass Menschlichkeit nicht auf der Quittung steht – aber zärtliche Spuren hinterlässt. Die Größe dieser Spuren sind nicht entscheidend.

Wahrscheinlich hätten wir auf die 2 Euro gepfiffen. Wir hatten das Geld ja schon passend in der Hand. Wollen auch gerne geben und die Dienstleistung damit anerkennen. Ohne Drama. Und ohne Glanzpolitur fürs eigene Ego.

Der Gast am Nebentisch wollte also nur recht haben. Er hat in der Mathematik gesiegt – besser sein Menü zusammengerechnet als der Profi-Kellner.

Sowas mögen wir gar nicht – an UNSEREM Tisch – der schlagartig zur moralischen Hochburg mutiert ist. Wir tun entrüstet. Putzen unsere Reste nicht mehr essbarer Überlegenheit in die Servietten. Und wenn jemand Recht hat, goutieren wir es nicht, außer es bleibt bei uns. Die Blöße des Nachrechnens übergehen wir großzügig beim Bezahlen. Vergewissern uns gegenseitig unserer Fairness.

Soso …

So einfach ist es nicht.

Der Gast – der die 50 Euro längst in der Hand hatte – könnte auch etwas ganz anderes getan haben:

Er hat das Trinkgeld optimiert.

Nicht aus Bosheit, sondern aus Strategie. Er hat kontrolliert, ob man ihn übervorteilen wollte und als das Gegenteil geschah, hat er seinen bereits geplanten Betrag so gegeben, dass er mehr Wirkung entfaltet. Damit dem Kellner mehr Trinkgeld bleibt.

Er hat nicht mehr gegeben, aber besser. 

Die gleiche Summe. Nur anders inszeniert. Dramaturgisch aufgeladen.

Berechnend. Großzügig. Nicht falsch. Vielleicht sogar stilvoll.

Oder – andere Lesart – er wollte einfach nur die Geste verstärken:

„Ich hab dich geprüft, du warst ehrlich und dafür gibt’s jetzt aufrichtig mehr.“

Die gleiche Handlung. Zwei völlig verschiedene Haltungen. Und beide passen in denselben Satz: „Stimmt so.“

Und der Kellner grinste, er ist schließlich Profi

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