Still unter dem Gebrüll

Hab Angst

Diese beiden Wörter habe ich in einem Kommentarbereich kurz nach dem rassistischen Terroranschlag in Hanau gelesen.

Es ist etwas länger her – ich weiß nicht mehr, wo genau –, aber sie blieben in mir haften. Sie standen verloren inmitten eines Haufens von Kommentaren voller egozentrischer Betroffenheitslyrik, aufrichtiger Anteilnahme, Vermutungen, Relativierungen, Beruhigungen und der üblichen Empörung über Nebensächlichkeiten.

Natürlich durchsetzt mit dem üblichen: „Aber die machen das doch auch …“

Nichts Neues also.

Hab Angst

Ich hätte die beiden Wörter beinahe übersehen.

Geschrieben wurden sie von einem Deutschen mit Migrationshintergrund. Er sieht nicht biodeutsch aus, und sein Name klingt auch nicht deutsch. Man verzeihe mir diese Unterscheidung, aber ich halte sie hier für wichtig. Denn er ist damit und nur deswegen! – vom rassistisch und rechtsextrem motivierten Terror unmittelbar betroffen.

Seine Betroffenheit fasste er in zwei leise Wörter:

Hab Angst

Ich bin Biodeutscher. Ich kenne nicht das Gefühl, Zielscheibe von rassistischem Hass und strukturellem Rassismus zu sein. Aber ich habe versucht, mich in seine Lage zu versetzen. Mir vorzustellen, wo ich Angst hätte oder benachteiligt wäre, wenn ich so aussähe wie er. Wenn ich nicht biodeutsch wäre.

Es war ein tastender Versuch.

Dennoch wurden dabei sehr existenzielle Dinge sichtbar. Und auch viele vermeintliche Kleinigkeiten, bei denen ich Angst hätte. Angst haben müsste.

Schon die Vorstellung – und das bisschen, das ich davon überhaupt fühlen kann – ist ekelhaft genug. Was ich mir aber wirklich nicht vorstellen kann: Wie es ist, wenn dieses Angstgefühl dauerhaft in einem lebt.

Was macht das mit einem Menschen? Was löst es aus, wenn man von klein auf spürt, nicht dazuzugehören Ausgeschlossen zu sein – nicht nur punktuell, sondern strukturell?

Was hätte es aus mir gemacht?

Hab Angst

Es ist genau das, was seit langer Zeit Millionen Menschen in unserem Land fühlen. Für sie ergeben sich daraus gewaltige, kaum zu übersehende Probleme.

Wir haben Angst

Ich möchte nicht, dass in meinem Land Menschen Angst haben müssen, weil sie so aussehen, wie sie aussehen.

Ich möchte nicht, dass Menschen benachteiligt werden, weil sie so heißen, wie sie von Geburt an heißen.

Ich möchte nicht, dass Menschen ausgeschlossen werden, weil sie an etwas glauben – oder eben nicht glauben.

Ich möchte, dass diese Menschen in meinem Land ebenso angstfrei ihr Leben gestalten können, wie ich das konnte, täglich tue – und wohl auch künftig tun kann.

Ich möchte, dass sie sich überall frei bewegen können, so wie ich es tue, konnte und kann. Ich möchte, dass sie die gleichen Möglichkeiten haben, wie ich sie hatte und habe.

Ich möchte nicht, dass Rassisten und Populisten solche Gefühle in Millionen von Menschen auslösen und damit ihre zerstörerischen Ziele erreichen, die unsere Gesellschaft spalten und zersetzen.

Ich weiß nicht, wie ich darauf reagieren soll. Ich weiß nicht, was man tun könnte. Was ich tun könnte. Ich bin damit überfordert.

Vielleicht ist ein Anfang, wenn wir diesen Menschen besser zuhören und sie nicht mit unserer schnell vergänglichen Betroffenheit wieder an den Rand drängen?

Wenn wir sie nach vorne holen. Und in unsere „Mitte“ nehmen. Wenn wir mit ihnen reden. Anstatt über sie zu reden.

Hab Angst

Ein einfacher Kommentar. Zwei Wörter. Und doch ein Aufschrei, der mir nicht mehr aus dem Kopf ging. Ich musste das aufschreiben, als Versuch, hinzusehen. Und nicht zu vergessen.

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