Neulich, beim Haarekämmen light, habe ich an eine Atombombe gedacht. Nicht, weil ich gefährlich bin, sondern weil mir auffiel, wie selten ich meine Gedanken wirklich anzweifle.
Was, wenn ich mich irre? Was, wenn meine Wahrnehmung falsch justiert ist, aber ich sie trotzdem für Realität halte?
Dann erinnerte ich mich an diesen alten Film. Und an eine Bombe, die denken konnte.
Die Einsamkeit der Bombe – Wenn Denken ohne Beziehung zum Zünder wird
Vorwort: Im Text wird Phänomenologie angerissen. Ich bin Dorfkind und ganz sicher kein Experte für diese Kunst. Aber der kurze Anriss in die Kunst des Denkens ist nötig, um etwas tiefer zu gehen. Der Text enthält somit etwas Denkmaterial, direkt aus der Dorfdisco. Nicht leicht entzündlich, aber bei falscher Handhabung kann er doch implodieren. Er hat auch keine Zünderfunktion. Aber wenn er detoniert, dann hoffentlich in Richtung einer stillen Erkenntnis.
Wenn er implodiert? Bleibt halt: Nichts.
Der Verfasser dieser Zeilen explodiert auch, manchmal zur falschen Zeit am falschen Ort. Aber es gibt vielleicht einen brauchbaren Kniff, um Explosionen – und vor allem Implosionen – zu vermeiden.
–
Es gab in den 70ziger einen Trash-Film, den ich bis vor Kurzem auch als solchen begriffen habe: Trash.
Witzig gemacht und absurd bis unerträglich schräg, mit Aliens in Tomatenform. Aber er grub sich in mein – zu dieser Zeit durchchaotisiertes – Unterstübchen ein. Irgendwas war da, was ich als Teenager übersehen habe, weil ich’s nicht sehen konnte. In den vergangenen Jahren merkte ich: Dieser Film ist ein echtes Kleinod. Ein trojanisches Pferd, das im Gewand einer versifften Tomate daherkommt, um dann mit voller Wucht die Synapsen durchzuprügeln.
Kultfilm “Dark Star“ von John Carpenter feierte 2024 sein 50-jähriges Jubiläum. Es ist an der Zeit, ihn ausgiebig zu würdigen.
(Die besagte Szene: https://youtu.be/oJjYfXELrWc?si=AkNKNfFPipJzOOdE
In dieser Sequenz diskutiert ein Astronaut mit einer denkenden Bombe, die überzeugt ist, durch göttliches Gebot explodieren zu müssen)
Im letzten Filmdrittel gibt es eine längere Sequenz, die in ihrer Absurdität fast übersehen wird und dabei gesellschaftlich hochexplosiv ist: Bombe Nr. 20.
Eine KI-Atombombe entwickelt durch einen Kurzschluss (Frankenstein lässt grüßen…) ein Bewusstsein. Durch eine Unterhaltung wird sie zu einem reflektierenden Wesen. Nicht unsympathisch kann sie ihre “Gedanken“ der Außenwelt eloquent mitteilen. Man könnte fast meinen, sie besitzt einen elektronischen Drall, der es ihr ermöglicht, die Eleganz ihrer Datenströme zu erkennen.
… leider nur in 76bit Genauigkeit.
Ironischerweise ist es gerade der Versuch, sie zum Nachdenken zu bringen, zur Selbstreflexion im phänomenologischen Sinne, der sie zur Explosion führt. Denn Reflexion ohne Beziehung bleibt solipsistisch und wird, wenn sie sich selbst genügt, zur Sprengkraft.
Sie gelangt nach längerer Überlegung zur der eindimensionalen Überzeugung:
„Ich denke, also bin ich.“
Ein eleganter Satz. Philosophisch aufgeladen. Kant hätte höflich genickt.
(An dieser Stelle meldet sich mein innerer “Zuviel-Denker-Lunatic“ zu Wort. Er trägt Cordhose, hat einen Hang zur Überkomplexität und flüstert gerne lateinische Begriffe in den Text. Ich habe ihn gebeten, kurz rauszugehen und eine Zigarette der Bescheidenheit zu rauchen)
Die Bombe jedenfalls denkt. Und denkt. Und landet in ihrer eigenen Gewissheit. Ihre Sensoren – defekt. Ihre Reflexion – isoliert. Ihre Wahrheit – absolut.
Das Ergebnis: Explosion aus innerer Überzeugung.
Die Bombe ist nicht dumm. Sie ist überzeugt. Von dem, was ihre Sensoren zeigen, auch wenn sie lügen. Zweifel? Fehlanzeige.
Wahrnehmung ohne Widerspruch und genau das macht sie gefährlich.
Ich bin kein Philosoph. Ganz sicher kein Phänomenologe. Aber ich habe mich gefragt, was es bedeutet, wenn man das, was man sieht, nicht gleich glaubt. Wenn man innehält, und nicht sofort urteilt. Ich hab gelesen, dass Husserl dafür ein Wort hatte: Epoché.
Klingt nach Esoterik. Ist aber eigentlich ganz radikal: Schau hin, aber sag noch nichts. Die Bombe hatte das nicht. Keine Stille zwischen Wahrnehmung und Handlung. Kein Innehalten. Nur: zack – Ich denke. Also… bum!
Das Denken unserer Bombe ist isoliert und in seiner Isolation fatal. Das macht sie nicht nur tragisch, sondern zutiefst menschlich. Auch wir Menschen erleben diese Isolation, wenn wir unsere Wahrnehmung für die einzige Wahrheit halten. Wenn wir nicht fragen: Was, wenn ich mich irre? Dann werden wir – wie sie – zur Sprengkraft. Was hier tragisch-komisch erscheint, ist eine erschreckend aktuelle Parabel:
Viele Menschen handeln wie Bombe Nr. 20.Sie kommunizieren mit ihren hochgejazzten Avataren in Echokammern, in sozialen Netzwerken, in algorithmenbestimmten Welten. Sie vertrauen auf „ihre“ Sensorik – gespeist durch Vorerfahrung, emotionalen Bias und Filterblasen. Selbst mit intakten Sensoren gäbe es in ihren Echokammern keine echte Welt, keine echte Wahrheit und keine echten Gefühle. Wenn ihnen jemand sagt: „Vielleicht ist das nur deine Sicht“, dann expandiert nicht die Erkenntnis, sondern implodieren sie mit dem Gespräch und halten sich für ihre eigene Supernova.
Man darf nicht alles glauben, was man denkt.
Und was macht es so tragisch? Sie tun es nicht böswillig. Sie tun es aus gefühlter Wahrheit. Gefühlte Wahrheiten ohne Empathie – sogar ohne Sinn für die eigenen Wünsche. Explosion der eigentlichen Absicht.
Es fängt harmlos an:
Ein Kalenderspruch, der unseren inneren Jammerlappen tröstet. Ein Sharepic, das einem das Gefühl gibt, gesehen zu werden – zumindest von sich selbst. Und dann: eines, das dich über andere erhebt. Noch eins, mit Zynit beladene, welches direkt aus der Kläranlage der Hölle trieft und Menschen entmenschlicht. Und irgendwann teilst du dieses Feuer und merkst nicht, dass du längst der Zünder geworden bist.
Für Wahrheit und gutes Gefühl braucht es Widerspruch. Und im Unterschied zur Bombe hätten wir ihn, als Beziehung, als Zweifel, als Dialog. Wir nutzen ihn nur zu selten. Und lassen ihn immer weniger zu.
Im Unterschied zur Bombe haben wir die Wahl:
Wenn wir unsere eigene Implosion verhindern, können wir öfter explodieren, aber wir sollten es tunlichst dann tun, wenn es der Welt hilft, menschlicher zu werden. Nicht aus isolierter Wahrheit.Sondern aus Beziehung.Aus Erkenntnis, die sich selbst hinterfragt.
(Wobei man hier schon auf den Gedanken kommen kann, dass es vielleicht ganz sinnvoll wäre, wenn manche virtuelle Avatare einfach implodieren würden)
Unreflektierte Dialoglosigkeit ist der stille Zünder der Selbstvernichtung, ohne Knall, aber mit Wirkung. Wer sich nicht traut zu zünden, wird implodiert, von innen, leise, endgültig. Denn Denken ohne Beziehung kennt keinen Widerhall. Und Wahrheit ohne Widerspruch ist nur ein Echo im Kopf.
Sie fühlt sich echt an, bis der letzte Gedanke verpufft.
PS: Bevor wir unsere Welt implodieren lassen, könnten WIR nochmal darüber nachdenken, oder?

Hinterlasse einen Kommentar